Ich hätte gern ein Paar Giraffenohren!

Unterwegs mit gewaltfreier Kommunikation – von Ysabelle Wolfe

Präsenz

Wenn wir über die Worte eines Menschen nachdenken und darauf hören, wie sie in unsere Theorie passen, dann schauen wir auf den Menschen – wir sind nicht bei ihm. Die wichtigste Zutat zur Empathie ist Präsenz. Wir sind ganz da für den anderen und seine Erfahrungen. Diese Qualität der Präsenz unterscheidet Empathie von vernunftmäßigem Verstehen und auch von Mitleid. Auch wenn wir uns manchmal dafür entscheiden, Mitleid zu haben, indem wir das fühlen, was die anderen fühlen, sollten wir uns bewusst machen, dass wir in dem Moment des Mitleidens keine Empathie geben.
Marshall Rosenberg, Gewaltfreie Kommunikation

Was macht empathisches Zuhören aus? „Ich versuche zu wiederholen, was mein Gegenüber sagt“ erzählt eine Frau in einem von Marshalls Workshops. „Aber was wiederhole ich. wenn mein Gegenüber sagt, ‘ich brauche wirklich, dass ER mich liebt‘?“
Und Marshall erklärt: „Ich brauche gar nichts zu wiederholen, ich muss nichts paraphrasieren. Bei Empathie geht es nicht darum, etwas Bestimmtes zu sagen oder zu tun. Es geht um Präsenz!“

Wie geht es jemandem, der sagt: ‘Ich brauche wirklich dass ER mich liebt‘? Ist dieser Mensch vielleicht gerade verzweifelt oder in Not, weil ihm Liebe und Sicherheit fehlen? ich habe immer wieder die erstaunliche Erfahrung gemacht, dass es nicht darauf ankommt, ob ich die Bedürfnisse richtig errate. Es kommt darauf an, ob ich wirklich beim anderen bin, in seinen Schuhen mitlaufe.
Ein empathisches Gespräch ist keineswegs erschöpfend, einseitig oder anstrengend. Wenn wir für eine gewisse Zeit ganz beim anderen sein können, vergessen wir vielleicht sogar für einen kurzen Moment, was uns selbst gerade belastet, und die Freude und Nähe, die uns ein empathischer Kontakt schenken kann, gibt neue Kraft. Wenn mein Gesprächspartner Erleichterung erfahren hat und sich zutiefst verstanden fühlt, ist häufig auch Raum für das, was man selbst auf dem Herzen hat oder darüber zu sprechen, wie es einem mit dem Gehörten ergeht.

Präsenz erfordert auch Mut. Denn es erfordert Mut zu sagen, ich habe heute keine Kapazitäten frei. ich bin erschöpft, ich kann Dir im Moment nicht meine ungeteilte Aufmerksamkeit schenken.

Und Präsenz braucht die Fähigkeit, das Gehörte beim anderen zu lassen. Wir werden nicht verantwortlich für die Lösung des Problems unseres Gesprächspartners. Wir müssen nichts heilen, in Ordnung bringen, richten, wir müssen nicht trösten und nicht beschwichtigen. „Just be“ heißt es so schön knackig im Englischen. Sei einfach.

Heute will ich aufmerksam sein, wann meine Präsenz gut tut. Und ich werde aufmerksam prüfen, ob ich die Kraft habe, mit all meinen Sinnen beim anderen zu sein.

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