Ich hätte gern ein Paar Giraffenohren!

Unterwegs mit gewaltfreier Kommunikation – von Ysabelle Wolfe

Vom Zuhören

Mein Freund Markus schrieb vor einigen Monaten diesen Text zum Thema Zuhören, der mich immer wieder anrührt. Ich habe ihn um Erlaubnis gefragt, ob ich seine Worte hier einstellen darf, und er hat gern zugestimmt.

Lieber Markus, vielen Dank dafür.

Ysabelle


In den letzten Wochen und Monaten habe ich mir sehr oft jemanden gewünscht, der mir zuhört. Noch besser, jemanden der versteht, was ich ihm anvertraue, jemand, der sich in mich einfühlen kann und bei dem ich eine tragfähige Verbindung spüre, die mir die Sicherheit gibt, dass alles was von mir kommt erst mal ok ist. Ich habe dieses warme Gefühl der Geborgenheit und Sicherheit gesucht, und jedes Mal wenn ich es fand wusste ich, ich bin gehört und gesehen worden.
Diese Episoden haben mich zum Nachdenken darüber veranlasst, welche Qualitäten ich mir von einem Menschen wünsche, der mir zuhört. Was genau wünsche ich mir, was kann ich in solchen Momenten nicht gebrauchen? Und was macht das mit mir, wenn jemand mir wirklich zuhört? Wie kann ich selbst ein guter Zuhörer sein?
Zu diesen Fragen möchte ich jetzt einfach mal meine Gedanken ordnen, in der Hoffnung, bei dir ein hörendes Ohr zu finden.

In welchen Situationen wünsche ich mir einen Zuhörer?
Am dringendsten brauche ich jemanden, wenn ich selber in starken Gefühlen verwirrt bin. Manche Gefühle sind so überwältigend, so umwerfend groß, sehr oft auch schmerzhaft oder angsteinflößend besetzt, dass ich mit ihnen alleine nicht zurechtkomme. Ich kann sie im wahrsten Wortsinn nicht aushalten, geschweige denn genießen. Also trenne ich mich von ihnen, nehme sie nicht wahr oder ignoriere sie. Der Preis den ich dafür zahle ist eine Mischung aus Taubheit, Leere, Wut und Depression.
In diesen Situationen wünsche ich mir jemanden, der mir hilft zurückzutreten und das Knäuel meiner Gefühle zu ent-wirren. Ich wünsche mir jemanden, der sich mit mir zusammen auf die Suche nach dem Ursprung der Gefühle macht, Knoten für Knoten zu lösen um so die unaushaltbare Spannung aufzulösen. Ich finde das deutet auch schon an, was ich mir nicht von einem Zuhörer wünsche und was auch für mich bisher nicht hilfreich war:

Du sollst mir den Weg nicht abnehmen, ich möchte nur einen Freund der mich begleitet. Du kannst ebenso wenig für mich meine emotionale Arbeit machen wie ich für dich. Also fühl dich nicht verantwortlich wenn es mir mal dreckig geht. Selbst wenn ich dich beschuldigen oder angreifen sollte, sei dir bewusst, dass du niemals die Ursache für meine Gefühle bist. Verstrick dich also nicht in meinem Knoten, sonst brauchen wir beide Hilfe zum entwirren.

Deswegen wünsche ich mir auch keine Lösung von dir. Du musst weder Abhilfe schaffen noch mich von meinen Sorgen ablenken. Es ist nicht deine Aufgabe, dass es mir besser geht, die Verantwortung dafür liegt ganz allein bei mir. Wenn du versuchst mich aufzumuntern lenkst du mich zwar kurzfristig von meinem Knäuel ab, aber wenn du weg bist bin ich wieder damit alleine.

Bitte verkneif dir auch jede psychologische Diagnose. Die meisten Schubladen sollen sowieso nur dabei helfen, möglichst schnell eine Lösung verschreiben zu können.
Und egal wie ausgefeilt die Schublade ist, in die du meine Gedanken, mein Verhalten oder meine Person stecken möchtest, es bleibt eine Schublade, eine clevere Beschreibung, ein Modell das niemals der Wirklichkeit gerecht werden kann. Wenn du merkst, dass du in deinem Kopf überlegst, welcher Stempel wohl passen könnte, bist du nicht mehr bei mir. Du siehst nicht mich, du betrachtest deine Stempel.

Verlauf dich auch bitte nicht in meinen Gedanken, am besten hörst du gar nicht auf den Inhalt den ich dir erzähle. Worte sind nur erfunden worden um vom Wesentlichen abzulenken. Wenn du meinen Erzählungen darüber zuhörst, was andere gemacht haben oder was sonst so passiert ist führt das nämlich schnell dazu, dass du in deinen Kopf gehst und abwägst, ob das so stimmt oder nicht. Das ist nur eine weitere Form von Schubladen.
Oft traue ich mich nicht, dir das Wesentliche zu sagen oder ich sehe es selbst noch nicht. Deswegen schau auf mich, wenn ich mit dem Finger auf andere Menschen zeige, sieh mir ins Gesicht und versuch zu erkennen, wie ich mich grade fühle, wenn ich dir das alles erzähle.
Wenn du erkennst, wie ich mich grade fühle, was jetzt gerade in mir lebendig ist, dann siehst du wirklich mich.

Aber jetzt noch einmal Vorsicht: Widersteh der Versuchung, meine Gefühle in deinem Kopf zu analysieren, zu überlegen ob sie angebracht oder übertrieben sind, richtig oder falsch, gesund oder krank…denn sonst unterbrichst du sofort wieder die zarte Verbindung zwischen unseren Seelen. Du bist dann nicht mehr bei mir und ich bin wieder alleine.
Gefühle sind nie verkehrt. Du kannst ihnen in jeder Situation trauen, immer und überall – wenn du weißt, was sie dir sagen wollen. Meine Gefühle sind die Messinstrumente meiner Seele, sie sagen absolut nichts aus über dich oder irgendwen sonst auf der Welt. Sie geben einzig und allein darüber Auskunft, was ich brauche.

So wie mein Hunger mir sagt, dass ich Essen brauche, möchte meine Einsamkeit mir sagen, dass ich Nähe, Gemeinschaft und Verbindung benötige. Noch einmal: Es ist nicht deine Aufgabe oder Pflicht, mir dieses Bedürfnis zu erfüllen. Wenn du das verinnerlichst kannst du sogar meinen Schmerz genießen, weil du sehen wirst, welches unerfüllte Bedürfnis dahinter steht.

Das ist es also, was ich mir von dir wünsche: Dass du mir solange zuhörst, laut oder stumm, bis ich wirklich an den Kern dessen gelange, was in mir lebendig ist und nach Gehör schreit. Denn wenn diese Stimme gehört wird, wird sie auch leiser werden und ich werde die Kraft finden, für mich zu sorgen. Ich weiß aus Erfahrung, dass das eines der erleichternsten Erlebnisse überhaupt ist. Bei mir als Gehörtem fließen meistens Sturzbäche von Tränen, Tränen der Erleichterung und Entspannung. Und bei mir als Zuhörer stellt sich das wunderschöne Gefühl der Verbundenheit ein, wenn mein Gegenüber endlich den Schatz seiner Bedürfnisse entdecken durfte – und ich glücklicher Mensch ihm dabei behilflich sein durfte.
Ich kann mich jetzt grade an keine schöneren Erlebnisse in meinem Leben erinnern…

Die Kunst des Zuhörens zu erlernen ist also wirklich die Mühe wert.

Aber es gibt auch einige Hürden auf dem Weg dahin zu nehmen, Blockaden die der eigenen Empathie im Weg stehen können. Wenn du eine dieser Hürden bei dir bemerkst empfehle ich dir, deine Grenzen anzuerkennen und dich zunächst einmal liebevoll um dich selbst zu kümmern. Oder wie ein großer Mensch es einmal ausdrückte: „Zieh zuerst den Balken aus deinem eigenen Auge. Dann wirst du klar sehen können, wie du den Strohhalm aus dem Auge deines Bruders ziehen kannst.“

Wenn ich die Lust dazu verspüre werde ich noch etwas über diese Hindernisse schreiben.
Wenn ihr mögt könnt ihr gerne schreiben, was in euch vorgeht, wenn ihr das hier lest, über Rückmeldungen freue ich mich immer!

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