Ich hätte gern ein Paar Giraffenohren!

Unterwegs mit gewaltfreier Kommunikation – von Ysabelle Wolfe

Kraut & Rüben (8)

Hallo, Welt!
Kann man gleichzeitig zufrieden und frustriert und müde und aufgekratzt sein?

Ich bin traurig, dass mir zur Zeit im Alltag keine Zeit bleibt, um Blogbeiträge zu schreiben. Dabei gäbe es so schöne Themen…

Zum Beispiel hatte ich eine Freundin gebeten, wegen eines bestimmten Verhaltens ihr Bedürfniskärtchen zu Rate zu ziehen. Sie antwortete mir:

> 1. ich habe mir mein Bedürfnis erfüllt, meine Kinder über eine
> > >>> wunderbare (Angelegenheit) zu informieren.
> > >>> mein Bedürfnis: angeregt, darunter
> > >>> aufgeregt,berührt,beschwingt,energiegeladen, hoffnungsvoll,
> > >>> 2……….., meine Kinder daran Anteil haben zu lassen, dass
> > >>> (diese Angelegenheit) mir geholfen hat.mein
> > >>> Bedürfnis: wie oben, und sicher, zufrieden, zuversichtlich
> > >>> 3………. mein Bedürfnis erfüllt, meinen Kindern eine
> > >>> Möglichkeit zur Hilfestellung zu geben, sollte eine
> >> Voraussetzung
> > >>> bei ihnen vorliegen.mein Bedürfnis:
> > >>> motiviert,optimistisch, hoffnungsvoll

So kann es also komplett in die Hose gehen, wenn ein Bedürfniskärtchen zwei Seiten hat und wir uns der Unterschiede zwischen Gefühlen und Bedürfnissen nicht bewusst sind.

Was gibt es Neues?
Meine zweite Augen-Operation ist erfolgreich gewesen und jetzt kann ich wieder richtig weit und klar gucken. Nur die Nähe und damit auch der Rechner ist noch nicht scharf, dazu wird es in 14 Tagen eine Lesebrille geben.

Meine Umbauten schreiten voran und sind ein Quell der Freude und Dankbarkeit für mich.
Vorige Woche erlebte ich eine große Überraschung, als ich von der Arbeit nach Hause kam. Es stand etwas in meinem Garten, was ich vorher da noch nie gesehen habe. Ich war vollständig geplättet und spürte tiefe Dankbarkeit und kindliche Freude (ich wiederhole mich, aber genau so fühlte es sich an). 400 Kilo mal eben heimlich hier einzuschmuggeln ist ja nicht so ganz ohne… Meine erfüllten Bedürfnisse? Gesehen werden, Gemeinschaft, Unterstützung, Spiritualität.

Der Auslöser, heute Abend meine Erschöpfung zu ignorieren und hierher zu kommen ist ein Paket, das jetzt bei mir in der Küche liegt. Es ist eine Sendung von Amazon, die gestern bei Nachbarn für mich abgegeben wurde. Ich habe den Karton aufgemacht und darin ist etwas in Geschenkpapier, versehen mit dem Aufdruck: Erst am XXX öffnen. Das macht was mit mir! ich bin neugierig und aufgeregt und verblüfft und durcheinander. Ein Präsent – für mich? Von wem? Vielleicht ein Plattenspieler oder ein UFO oder eine Giraffe zum Zusammenbauen… Ich habe nicht die geringste Ahnung!

Es gibt noch jemanden, der dringend auf ein Lebenszeichen von mir wartet: Die Jungs von der Volkszählung. Nicht nur der Blog kriegt kein Futter, auch die vielen Fragen sind noch immer unbeantwortet und ich merke, wie sehr mich das bedrückt. Dabei wollte ich doch heute eigentlich nur ganz früh ins Bett gehen… Aber nun sieht es doch wieder nach Nachtschicht aus.

Liebe Freunde der Giraffenohren,
dieser Blog ist nicht tot. Er ist zur Zeit nur ein bisschen in seinen vitalen Funktionen eingeschränkt.

So long!

Ysabelle

P.S.: Es hat ziemlich genau acht Minuten gebraucht, den Fragebogen zum Zensus online auszufüllen. Gegrault habe ich mich deshalb zwei Monate. Also doch früh ins Bett heute 😉

Gewaltfreie Kommunikation als Lebenshaltung

Zentrale Commitments (Bekenntnisse)
Von Miki Kashtan
inoffizielle Übersetzung: Heike Krüger & Gerhard Rothhaupt

1. Lieben – wen oder was auch immer: Selbst wenn meine Bedürfnisse ernsthaft nicht erfüllt werden, so will ich mein Herz geöffnet halten. Wenn ich bemerke, dass ich Urteile fälle, wütend bin oder getriggert bin, so will ich Unterstützung suchen, um meine Be-/Verurteilungen umzuwandeln und Anderen in Liebe zu begegnen.

2. Unschuldsvermutung: Selbst wenn die Worte oder Handlungen anderer für mich keinen Sinn machen oder mich erschrecken, so will ich davon ausgehen, dass dahinter eine menschliche, bedürfnisorientierte Absicht steht. Wenn ich mich selbst dabei beobachte, andere Motive zu unterstellen, oder die Handlungen Anderer zu analysieren, so will ich Unterstützung darin suchen, mich selbst wieder zu erden in dem Wissen, dass jede menschliche Handlung ein Versuch ist, Bedürfnisse zu erfüllen, die sich von den meinen nicht unterscheiden.

3. Offenheit mir selbst gegenüber: Selbst wenn ich mich auf eine Art verhalte, die ich wirklich nicht mag, so will ich mein Herz mir selbst gegenüber offen halten. Wenn ich mich in Selbstverurteilung wieder finde, so möchte ich Unterstützung darin suchen, mich wieder mit mir selbst zu verbinden.

4. Offenheit für die ganze Bandbreite der Gefühle: Selbst wenn meine Gefühle sich für mich unangenehm anfühlen, so will ich präsent bleiben und mein Herz weiterhin geöffnet halten für die Fülle meiner emotionalen Erfahrungen. Beobachte ich, dass ich meiner Erfahrung ausweiche, erstarre oder mich verschließe, so will ich Unterstützung darin suchen, meine Schutz-/Verteidigungshaltung los zu lassen und mich für das zu öffnen, was ist.

5. Gleichgewicht: Selbst wenn ich die Versuchung spüre, mich zu überfordern (auch bei der Beachtung eines dieser commitments), so will ich aufmerksam bleiben in Bezug auf die Grenzen meiner Kapazitäten – in jedem Moment. Wenn ich bemerke, dass ich mich selbst bedränge, so will ich Unterstützung darin suchen, die natürliche Weisheit meines Organismus anzunehmen und darin zu vertrauen, dass das Bleiben innerhalb meiner gegenwärtigen Grenzen mich in der Verbesserung meiner Fähigkeiten im Laufe der Zeit unterstützen wird.

6. Mich meiner Bedeutung stellen: Selbst wenn ich voller Zweifel bin, will ich mich der Welt vollständig zeigen und anbieten. Wenn ich beobachte, dass ich denke, ich sei nicht wichtig oder meine Handlungen seien bedeutungslos, so will ich Unterstützung darin suchen, mich daran zu erinnern, dass meine Gegenwart und meine Fähigkeiten von Bedeutung sind.

7. Authentizität und Verletzlichkeit: Selbst wenn ich Angst habe und mich unsicher fühle, so will ich die in mir lebende Wahrheit mit anderen teilen, während ich Sorge und Mitgefühl für andere und mich selbst aufrechterhalte. Wenn ich bemerke, dass ich mich verstecke oder schütze, so will ich Unterstützung darin suchen, die Gelegenheit zu umarmen, mein Selbstempfinden zu erweitern und Scham zu verwandeln.

8. Verantwortung: Selbst wenn ich überwältigt bin von Hindernissen oder schwierigen Gefühlen, so will ich die volle Verantwortung für meine Gefühle, meine Handlungen, und mein Leben übernehmen. Wenn ich bemerke, dass ich meine Macht abgebe an andere Menschen, größere Gewalten oder analytischen Kategorien, wie meine Vergangenheit oder irgendwelche Etiketten die ich mir selbst gegeben haben, so will ich Unterstützung darin suchen, den Urgrund meiner Wahlmöglichkeit zu finden, um so zu leben, wie ich will.

9. Erreichbarkeit für Feedback: Selbst wenn ich gesehen und akzeptiert werden will, will ich mich dafür öffnen, Feedback von anderen anzunehmen, um zu lernen und zu wachsen. Wenn ich bemerke, dass ich in Rechtfertigungshaltung oder Selbsturteile abgleite, so will ich Unterstützung darin suchen, die Schönheit und das Geschenk in dem zu finden, was mit mir geteilt wird.

10. Empathische Präsenz: Selbst wenn andere im Schmerz sind, von sich selbst getrennt, Intensität ausdrückend, oder im Urteilen gefangen, will ich eine entspannte Präsenz mit ihrer Erfahrung aufrechterhalten. Wenn ich bemerke, dass ich versuche etwas zu reparieren, Ratschläge anbiete, mechanisch Empathie gebe oder meine Aufmerksamkeit anderswohin lenke, so will ich Unterstützung darin suchen, meinen Glauben an die verwandelnde Kraft und das Geschenk des einfachen Da-Seins zurück zu gewinnen.

11. Dialogische Grundhaltung: Selbst wenn ich sehr auf ein bestimmtest Ergebnis fokussiert bin, will ich offen bleiben für die Veränderungen meiner Haltung im Rahmen eines Dialogs. Wenn ich bemerke, dass ich eine Position verteidige, oder versuche, jemanden von seiner Position abzubringen, so will ich Unterstützung darin suchen, mich aus der Anhaftung zu lösen, mich mit meinen Bedürfnissen und den Bedürfnissen Anderer zu verbinden, und nach für beide Seiten unterstützenden Strategien zu suchen, welche aus der Verbindung mit Bedürfnissen entstehen.

12 Großzügigkeit: Selbst wenn ich Angst oder wenig Energie habe, will ich mich dafür öffnen, mich anderen anzubieten und auf ihre Bitten zu antworten. Wenn eng vor Angst ist und ich nicht bereit bin, zu geben, so will ich darin Unterstützung suchen, sämtliche Gedanken an Mangel loszulassen und die Gelegenheit zu geben umarmen.

13. Selbstfürsorge: Selbst wenn ich gestresst, überfordert oder von mir getrennt bin, will ich meine Selbstverpflichtungen für mein Wohlbefinden aufrechterhalten, und so handeln, dass ich mein Leben nähre. Wenn ich beobachte, dass ich Strategien, die mein Leben bereichern, unterlasse (wie z. B. Sport, Essen, wie ich will, Empathie und Unterstützung erhalten, wie ich sie brauche, angenehme Tätigkeiten oder alles andere, von dem ich weiß, das es mir gut tut), so will ich Unterstützung darin suchen, mich in der Kostbarkeit meines eigenen Lebens und in meinem Wunsch, mich selbst zu nähren, zu erden.

14. Auflösung von Konflikten: Selbst wenn ich große Schwierigkeiten habe, mit jemandem in Kontakt zu kommen, möchte ich dafür zur Verfügung stehen, die Probleme zwischen uns mit Unterstützung zu lösen. Wenn ich bemerke, dass ich jemanden aufgebe, so will ich darin Unterstützung suchen, mich an die Magie des Dialogs zu erinnern und mich dem Prozess der Heilung und Versöhnung anzuvertrauen, um wieder Verbindung herzustellen.

15. Das Leben feiern: Selbst wenn ich mit Schwierigkeiten konfrontiert bin, seien sie persönlich, zwischenmenschlich, oder global, so will ich eine Einstellung der Anerkennung und Dankbarkeit dazu aufrechterhalten, was das Leben mir bringt. Wenn ich beobachte, dass ich zynisch werde, oder nur Schmerz und Verzweiflung spüre/erfahre, so will ich Unterstützung darin suchen, mein Herz mit der Schönheit und den Wundern zu verbinden, die das im Leben sogar unter den schrecklichsten Umständen bereithält…


Die US-amerikanische Trainerin Miki Kashtan hat diese 15 Commitments aufgestellt, um ein Leben in Harmonie mit den Grundannahmen der Gewaltfreien Kommunikation zu führen. Sie sind auch Grundlage eines Netzwerks, der Conscious transformation community, die Miki Kashtan aufbaut. Mehr Informationen und engl. Original unter HYPERLINK „http://ctc.learnnvc.com/“http://ctc.learnnvc.com/. Mehr Informationen zu Miki und ihrer Arbeit unter HYPERLINK „http://www.baynvc.org“ http://www.baynvc.org /.

Kundendienst-Hotline

Hallo, Welt!

Freitagmittag habe ich bei einem großen Versender von Elektronik-Bauteilen fünf Einbau-Bodenstrahler gekauft und 24-Stunden-Lieferservice angekreuzt. Im Verlauf des Bestellvorgangs war dann auf einmal nicht mehr die Rede davon. Mit Entsetzen sah ich gestern bei genauem Nachforschen, dass ich eine Mail bekommen soll, wenn die Strahler versandt sind und natürlich ist auch diese Mail noch nicht eingetroffen. Also habe ich eben die Hotline des Unternehmens angerufen.

Meine Gefühle? Besorgnis, Unruhe, Aufregung. Ein Wolfsrudel, charmanterweise gegen das Unternehmen (wie bescheuert bauen die denn ihren Shop auf? Das müssen die doch deutlicher anzeigen, dass bei einer Bezahlung mit Paypal kein 24-Stunden-Service möglich ist und einen „Zurück-Button“ einbauen…) und natürlich gegen mich (du hast doch gesehen, dass da keine Sofort-Lieferung mehr angegeben war, du hättest den Bezahlvorgang abbrechen müssen, du warst nur zu faul, für eine neue Bestellung alle Daten noch mal einzugeben…)

Puh – wenn ich all diesen Wölfen zuhöre, wird mir wirklich eng in der Brust und innerlich ganz schwer.
Um Punkt neun hatte ich also den Kundendienst (natürlich eine 01805-Nummer…) an der Strippe. Nein, die Ware ist im Versand, da können wir nichts machen, das lässt sich nicht nachträglich beschleunigen, sie kommt am Donnerstag bei ihnen an… (zu spät… viel zu spät…)
In allen Fasern spürte ich die Verlockung, dem Unternehmen die Schuld zu geben: Sie haben Ihre Internetseite… und unter Aufbietung aller Kräfte ist es mir gelungen, bei Gefühlen, Bedürfnissen und Strategien zu bleiben. Sind in Hamburger Geschäften des Versenders diese Strahler vorrätig? Ist es möglich, die in einer Filiale zusammenzufassen? Ich konnte auch sagen: „Es ist meine Verantwortung, dass diese Bestellung schiefgegangen ist, denn ich habe im Verlauf des Bestellvorgangs gesehen, dass die 24-Stunden-Lieferung weg war, aber ich habe es nicht verstanden, was das bedeutet.“
Meine Gesprächspartnerin stimmte sich schließlich auf mich ein und wir haben uns geeinigt, dass sie mein Konto belastet und die Strahler heute noch mal im 24-Stunden-Eilservice rausschickt. Dann sind sie wenigstens morgen da. Übermorgen dann die nächsten fünf… und die soll ich einfach zurückgehen lassen: Annahme verweigert. Drei Wochen später hätte ich dann von Paypal mein Geld zurück…
Noch immer eine gute Gelegenheit, mich fertigzumachen.

Mein aktueller Wahlspruch:

Man kann sich über vieles wolfen,
aber man ist nicht verpflichtet dazu!

Und ich erinnere mich an die DVD, die ich gestern Abend gesehen habe:

Rudi Ballreich/Gerald Hüther
Du gehst mir auf die Nerven!
Neurobiologische Aspekte der Konfliktberatung

erschienen im Auditorium Verlag und günstig geschossen bei Jokers.de

Rudi Ballreich erläutert im ersten Teil des Vortrags unter anderem, was im Körper passiert, wenn er unter Stress gerät und benutzt dazu eine leichte Abwandlung des Lernzonen-Modells, hier mal zitiert nach Wikipedia:

Lernzonenmodell

In dem Lernzonenmodell wird der Prozess der Lernens durch den Wechsel unterschiedlicher Zonen verdeutlicht. Die innere, sogenannte Komfortzone ist gekennzeichnet von Alltäglichem, das ohne herausragende Herausforderungen abläuft: „Sicherheit, Geborgenheit, Ordnung, Bequemlichkeit, Entspannung, Genuss“ (Michl 2009). Die Lernzone, die auch „Wachstumszone“ (Michl) genannt wird, stellt eine besondere Herausforderung, die das Bestehende erweitern kann, in Frage stellt oder modifiziert. Lernen finde statt, wenn die Lernenden entsprechend begleitet und unterstützt werden. Motivation und angemessene Aufgabenstellung wirken dabei lernförderlich: „Abenteuer, Unbekanntes, Unsicherheit, Problem, Herausforderung, Unerwartetes, Risiko, Unplanbares“ (Michl). In der äußeren, sogenannten „Panikzone“ setzt eine Blockade ein: „Notfall, Verletzung, objektive Gefahr, Unfall“ (Michl). Verunsicherungen und Panik können entstehen, verhindern Lernen und können auch das Gegenteil bewirken. „In diesem Bereich können wir nicht lernen, sondern bleiben immer nur frustriert. Alles, was darin liegt, ist unserer Persönlichkeit zu fern und zu fremd und nicht zu bewältigen“ (Senninger). Berufsschulnetz.de hat dazu eine schöne Grafik:

Ballreich nennt die Lernzone oder Wachstumszone STRESSZONE. Ich konnte wirklich deutlich spüren, wie ich unter Stress war, als ich bei der Hotline anrief, und wie der Stress sich verstärkte, als keine der vorgeschlagenen Strategien zu greifen schien. Je mehr Stress ich wahrnahm, desto größer wurde der Wunsch, nach dem anderen (verbal) zu schlagen: Was haben SIE für eine doofe Internetseite! Was ist das für ein doofer Laden! Sie sind aber auch gar nicht hilfsbereit…

Wie in einer Parallelspur im Kopf waren diese (alten) Töne zu hören und gleichzeitig konnte ich einigermaßen auf der Giraffenspur bleiben. Ich habe deutlich gemerkt, dass es eine Anstrengung war. Aber ich möchte feiern und dankbar sein, dass es mir gelungen ist. Ganz offensichtlich habe ich also die kuschelige Komfortzone verlassen, in der alle Bedürfnisse erfüllt sind oder keine unerfüllten Bedürfnisse spürbar. Ich war in der Stresszone, in der Lernen und Wachstum erfolgen können, und ich durfte spüren, dass ich wirklich neue Strategien, Worte und Handlungsweisen zur Verfügung habe, auch wenn es extrem anstrengend und herausfordernd ist, auf der Giraffenspur zu bleiben.

Mich erschreckt die Gewalt, die auf der Parallelspur in meinem Gehirn anrollt. Meine eigene Verzweiflung und die Kraft, andere abzuwehren, abzuwerten, zu kämpfen… So viel Energie ist da unterwegs. Und sie dient nicht dem Leben. ich bin dankbar, dass ich das heute so klar erkennen darf und dankbar für alle Fortschritte, die ich im Jahr 5 mit GfK feiern darf.

So long!

Ysabelle

Wortschätzchen: scheitern

Hexen-Einmaleins
du mußt verstehn!
aus eins mach zehn,
und zwei laß gehn,
und drei mach gleich,
so bist du reich.
verlier die vier!
aus fünf und sechs,
so sagt die hex,
mach sieben und acht,
so ist’s vollbracht:
und neun ist eins,
und zehn ist keins.
das ist das hexeneinmaleins.

(ref:) immernoch werden hexen verbrannt
auf den scheiten der ideologie.
irgendwer ist immer der böse im land
und dann kann man als guter
und die augen voll sand,
in die heiligen kriege ziehn.

als sie giordano bruno verbrannten
sandte sein gott keine blitze gegen das unrecht.
munter flackerte das feuer.
der pöbel mußte manchmal husten zwischen zwei lachern,
so qualmte giordano. oder grandier,
neben seinem scheiterhaufen sonnte sich richelieu.
14 nonnen mit klistierspritzen garniert,
wälzten sich vor wollust und gier.
und das christliche abendland
sann befriedigt weiter auf gute taten.
was hat dieser ketzer mit uns zu tun,
flötet unser jahrhundert.
doch 300 jahre später
konnte ein gewisser trotzki,
angeklagt der unzucht mit der freiheit,
das haupt dogmen baljo gespalten,
300 jahre später konnte dieser trotzki
die menschheit nur noch
um vergebung bitten für seinen henker.

(ref:) immernoch werden hexen verbrannt
auf den scheiten der ideologie.
irgendwer ist immer der böse im land
und dann kann man als guter
und die augen voll sand,
in die heiligen kriege ziehn.

sacco und vanzetti, keiner rothaarig,
nie mischten sie zaubertränke um mitternacht.
auch des nachbarn kühe gediehen vortrefflich.
trotzdem wurden sie niedergemetzelt
von den schergen der mickey mouse.
oder sechs millionen juden,
fürwahr eine heerschar von hexern,
zum aderlaß geprügelt
für die reinheit des blutes.
schrecklich! schrecklich!
und die mönche der demokratie
wedeln verzeihung heischend
mit der rute und siehe,
der freigeist geht um!

alle sind aufgeklärt,
doch wer weiß bescheid!?
heute haßt man modern.
die angst ist die flamme unserer zeit
und die wird fleißig geschürt.
sie verbrennen dich
mit ihrer zunge und ihrer ignoranz.
dicke freundliche herren
bitten per television zur jagd.
tausende zum feindbild verdammt
halten sich für’s exil bereit.
die schlupfwinkel werden knapp,
freunde. höchste zeit aufzustehen!

du mußt verstehn!
aus eins mach zehn,
und zwei laß gehn,
und drei mach gleich,
so bist du reich.
verlier die vier!
aus fünf und sechs,
so sagt die hex,
mach sieben und acht,
so ist’s vollbracht:
und neun ist eins,
und zehn ist keins.
das ist das hexeneinmaleins.
Konstantin Wecker

Hallo, Welt!
Vorgestern sagte ein Bekannter im Gespräch: „Ich bin zweimal damit gescheitert, mit dem Rauchen aufzuhören.“ Ich fragte nach, was genau meinst du mit scheitern? Und er entgegnete, Na, ich habe das zwei Mal versucht und es nicht geschafft. Ich nahm bei ihm Scham wahr und Schmerz. Urteile wie „Weichei“ oder „charakterschwach“ lagen in der Luft. Und dann sagte er, „verdammte Sucht!“
Ich war selbst eine recht starke Raucherin. Noch heute bin ich voll des Bedauerns, dass ich es nicht einmal geschafft habe, während der Schwangerschaft damit aufzuhören. Jeder Raucher, der es schwierig findet, dieses Hobby aufzugeben, hat mein tiefstes Mitgefühl. Doch mit Scheitern hat das meiner Ansicht nach gar nichts zu tun. Scheitern beinhaltet eine Bewertung. Mitgeliefert wird in den meisten Fällen: Eigentlich hätte das klappen müssen/sollen. Aber du… und dann können wir aus verschiedenen Textbausteinen wählen.
Du hast dich nicht genug angestrengt
du hast das nicht sorgfältig genug geplant
du hast dir nicht die ausreichende Unterstützung geholt
du bist zu blöd
du gibst dir nicht genug Mühe…

Sicher könnt Ihr diese Liste mit eigenen Textbausteinen ergänzen.
Scheitern impliziert also, dass mit demjenigen, der scheitert, etwas nicht stimmt. Oder etwas anderes stimmt nicht. Die Himalaya-Expedition scheiterte, weil ein Schneesturm den Weg unpassierbar machte. Dann hat Scheitern etwas Schicksalshaftes. Höhere oder dunkle Mächte haben sich gegen mich verschworen, sonst hätte es doch klappen müssen mit der Erstbesteigung meines persönlichen Ratna Purna. Also: Entweder ich bin falsch oder ich habe keine Handlungsoptionen, weil von oben/außen bestimmt wird, was für mich richtig oder falsch ist.

„Scheiter der Ideologie“ schreibt Konstantin Wecker in seinem Chanson. Scheite sind Holzklötze. Wer also scheitert, errichtet sich seinen persönlichen Scheiterhaufen.
Ich vermute, in diesem Fall sind die Bedürfnisse
Selbstvertrauen
Autonomie
Sicherheit
Anerkennung
Begeisterung
Leichtigkeit
und vielleicht Spiritualität im Mangel.

Und die Gefühle, die sich hinter diesem Scheitern verbergen,
sind vielleicht
frustriert
traurig
verzweifelt
voller Scham
ratlos
mutlos
miserabel
müde
deprimiert
und erschöpft.

Ich könnte mir vorstellen, dass mancher auch aus der Tatsache, dass er oder sie ein Vorhaben nicht umsetzen konnte, ganz andere Gefühle aktiviert:
Er ist dann vielleicht
mutig
gelassen
eifrig
überlegt
hoffnungsvoll
inspiriert
weise (hat etwas gelernt aus der Erfahrung)
kraftvoll
und lebendig.

Sicher kann man diese Gefühle noch tiefer interpretieren. Aber ich vermute, es ist schon klar, worum es mir geht. Der eine erlebt sein „Scheitern“ als eine persönliche Niederlage, die ans Selbstwertgefühl geht. Der andere nimmt das Scheitern als Herausforderung an, geht mit Leidenschaft daran, einen neuen Plan zu schmieden.

Wie kann ich dem Scheitern den Stachel ziehen?
Im ersten Schritt möchte ich dazu einladen, die nackte Beobachtung zu finden.
Was genau ist geschehen?
Ich habe zwei Anläufe genommen, nicht mehr zu rauchen. Ich habe weiterhin geraucht.

Und dann schaue ich auf die Bedürfnisse.
Welche wunderbaren Bedürfnisse wollte ich mir erfüllen, als ich mit dem Rauchen aufhören wollte?
Gesundheit
Effizienz (was meine Finanzen angeht)
Ordnung (keine Kippen mehr in der Wohnung)
Schönheit (kein Gestank in der Bude, die Klamotten riechen immer frisch)
Atmen
Gemeinschaft (ich will nicht mehr auf den Balkon!)
Friede (nicht mehr vom Verlangen geplagt zu werden)
Leichtigkeit
und vielleicht Spiritualität im Sinne von Schutz für meinen Körper, dieses wunderbare Geschenk der Natur

Und jetzt wird es spannend:
Welche wunderbaren Bedürfnisse habe ich mir erfüllt, als ich wieder zur Zigarette griff?
Leichtigkeit
Entspannung – auch im Sinne von Stress-Management
vielleicht Beteiligung und Gemeinschaft, wenn ich mit anderen Rauchern zusammen bin?
Schutz (vor Verwundbarkeit, ich fühle nichts, ich rauche…)
Zeit zum Nachdenken oder Reagieren (bevor ich was sage, steck ich mir erst mal eine an…)
und bei meinen eigenen „Wieder rauchen“-Aktionen spielte oft der Aspekt des Verwöhnens eine Rolle. Ich ent-schädige mich für etwas anderes… Also ist auch mein Bedürfnis nach Liebe im Mangel.
Wenn es mir also gelingt, diese Bedürfnisse, die ich mir mit dem Rauchen erfülle, auf andere Weise zu erfüllen, dann gibt es auch keine Veranlassung mehr zu rauchen.
Das klappt bestimmt auch bei anderen Herausforderungen, denen ich mich stellen möchte. Vielleicht sollte ich diese Methode an Volkshochschulen unterrichten.

So long!

Ysabelle

Der bessere Chef ist die Chefin. Manchmal.

Hallo, Welt!

Gestern entdeckte ich im Spiegel einen Artikel, der mich sehr angesprochen hat. Ein hochrangiger Mitarbeiter bei Microsoft hat sich einer Geschlechtsumwandlung unterzogen. Vorher galt er in seiner Abteilung als harter Hund, als Frau jedoch findet der neue Führungsstil dieser Person großen Anklang.
Zitat:
Obwohl diese Frage-Antwort-Sitzungen (Erläuterung: in denen die Betroffene vorab die Mitarbeiter über die geplante Geschlechtsumwandlung persönlich informierte) nicht immer einfach waren, betrachtet Wallent sie jetzt als wichtigen Bestandteil ihrer inneren Wandlung. „Hinterher kamen viele Leute auf mich zu und erzählten mir unglaublich persönliche Geschichten von eigenen Erlebnissen, die eine ähnlich tief greifende Auswirkung auf ihr Leben gehabt hatten“, erinnert sie sich. Letztendlich, so glaubt sie, hat ihr neuer Managementstil nicht so viel mit den Östrogentabletten zu tun, die sie täglich einnimmt. Ihrer Meinung nach handelt es sich dabei um ein Nebenprodukt dieser sehr intimen Gespräche mit ihren Kolleginnen und Kollegen. „Diese Gespräche haben mir klargemacht, wie wichtig ein authentischer Führungsstil ist und dass man seinen Mitarbeitern sein wahres Ich zeigen muss – ohne jede Einschränkung“, sagt sie. „Dann fühlen sie sich in ihrem Job wohler.“
Mich haben diese Worte sehr angesprochen. In den vergangenen Monaten habe ich in Abteilungskonferenzen mehrmals darüber gesprochen, wie es mir mit bestimmten Dingen geht, welche Bedürfnisse bei mir unerfüllt sind. Der Kollege, der die Sitzungen leitete, reagierte oft sehr „angefasst“. Ich war selber wegen meines Verhaltens in Sorge. War das noch loyal? im Anschluss an die Sitzungen konnte ich meinem Kollegen oft Empathie geben. Am erstaunlichsten war für mich die Reaktion der anderen Kollegen. Es entstand eine neue Intimität zwischen uns. Wir konnten offener miteinander umgehen, wir haben deutlich mehr Spaß in unseren Konferenzen. Meine Ehrlichkeit schien den Weg freigemacht zu haben für die größere Ehrlichkeit der anderen.
In meinem Erleben ist es bisher nicht so gewesen, dass Ehrlichkeit oder Offenheit im Geschäftsleben besondere Tugenden sind. Ein Professor, der vor einigen Jahren in unserer Abteilung eine Fortbildung leitete, gab mir in der Mittagspause die Rückmeldung, er erlebe mich als unglaublich authentisch. Und damals war ich mir absolut nicht sicher, ob ich das wirklich als Kompliment auffassen sollte oder dürfte. Hieße das nicht zugleich, ich würde mich nicht an dem Maskenball der Geschäftswelt beteiligen? Und war das nicht eine Voraussetzung für erfolgreiches Führen?
Ich persönlich glaube das nicht. Sich zu zeigen, sich verletzlich zu machen ist eine Stärke. Das haben nur die noch nicht erkannt, die über ihre eigenen Verletzlichkeiten noch nichts wissen. So scheint es mir manchmal. Und daraus folgt: Manager brauchen Empathie. Genau wie Mitarbeiter!

So long!

Ysabelle

Über die Liebe

Hallo, Welt!

Dieser Tage erinnerte mich eine Freundin daran, dass Marshall der Ansicht ist, Liebe sei ein Bedürfnis und kein Gefühl. Gelesen habe ich diesen Gedanken schon öfter, auch hier vertreten. Doch zur Zeit beschäftigt mich die Frage: Wenn Liebe kein Gefühl, sondern ein Bedürfnis ist, welche Gefühle habe ich dann, wenn ich sage, ich fühle Liebe? Das ist doch das, was man landläufig sagt: Ich liebe dich…

Ich habe verstanden, dass ich mein Bedürfnis nach Liebe auf verschiedene Weise erfüllen kann. Vielleicht mit einer Schmusestunde, mit einem empathischen Gespräch, die Füße beim anderen unter die Bettdecke stecken, sich ankuscheln, im Kino an einer spannenden Stelle Hände halten… – das und vieles mehr kann mir mein Bedürfnis nach Liebe erfüllen. Aber was sind das für GEFÜHLE, die bisher immer mit Liebe umschrieben wurden?

Meine so hoch geschätzte Liste der Gefühle und Bedürfnisse gibt dazu Folgendes her:
Wenn mein Bedürfnis nach Liebe erfüllt ist, fühle ich mich je nach Verfassung

angenehm
angeregt
ausgeglichen
behaglich
berührt
beschwingt
bewegt
ekstatisch
energiegeladen
enthusiastisch
entspannt
entzückt
erfreut
erfüllt
ergriffen
erstaunt
friedlich
froh
gebannt (im Sinne von fasziniert)
gelassen
gerührt
geschützt (ist das ein Gefühl oder ein Interpretationsgefühl?)
glücklich
heiter
hellwach
inspiriert
kraftvoll
klar
lebendig
leicht
lustvoll
satt
selbstsicher
selig
sicher
still
strahlend
überwältigt
unbeschwert
wach
zärtlich
zuversichtlich.

So weit mal die Liste der Gefühle bei erfüllten Bedürfnissen. Das sind so gut 4/5 aller Gefühle auf der Liste.
Bei den Gefühlen bei unerfüllten Bedürfnissen springt mich eigentlich nur Schmerz an.

Ich bin mit dieser Aufzählung unzufrieden, weil ich spüre, dass all diese Worte nicht das beschreiben, was ich fühle, wenn ich in der Vergangenheit gesagt habe, ich liebe dich.
Wie fühlen sich weiche Knie an? Was ist mit dieser tiefen Freude der Verbundenheit? Ist nicht Liebe ein gefühlter Mix aus den verschiedensten erfüllten Bedürfnissen? Respekt, Wertschätzung, Nähe, Verbindung, Wärme, erotische Anziehung, Intimität, Spiritualität? Der Eindruck, gesehen, erkannt zu sein, angenommen. Den anderen anzunehmen, ihn genau so zu akzeptieren, wie er ist, in diesem einen kostbaren Moment. Vielleicht kann ich es am ehesten beschreiben, wenn ich wirklich versuche, bei den Körpersensationen zu bleiben, die ausgelöst werden, wenn mein Bedürfnis nach Liebe erfüllt ist. Oder ist muss noch mal mit Marshall sprechen, wie es sich das genau vorgestellt hat. Kann Liebe nicht beides sein, ein Gefühl und ein Bedürfnis?

So long!

Ysabelle

William Shakespeare
Sonett No. 116

Let me not to the marriage of true mindes
Admit impediments, love is not love
Which alters when it alteration findes,
Or bends with the remover to remove.

O no, it is an ever fixed marke
That lookes on tempests and is never shaken;
It is the star to every wandring barke,
Whose worths unknowne, although his hight be taken.

Lov’s not Times foole, though rosie lips and cheeks
Within his bending sickles compasse come,
Love alters not with his breefe houres and weekes,
But beares it out even to the edge of doome:

If this be error and upon me proved,
I never writ, nor no man ever loved.

116

Was man sich treu gelobt, wenn man sich liebt,
gilt ausnahmslos. Denn wahre Liebe, die
weicht nicht vom Weg, wo es sich grad ergibt,
mag auch der Wind sich drehn, sie dreht sich nie.

O nein, sie bleibt auf festgelegter Bahn,
steht auch bei Stürmen fest am Firmament,
und dient als Leitstern dem verirrten Kahn,
unschätzbar, selbst wenn man die Höhe kennt.

Sie ist nicht an Vergänglichkeit gebunden,
wenn auch der Wangen Rot verfallen mag,
sie ändert nicht in Wochen oder Stunden,
sie bleibt bestehen bis zum jüngsten Tag.

Wenn man mir dies als falsch beweisen kann,
wär ich kein Dichter, liebte nie kein(’n) Mann.

Ich hätte gern eine Tüte Empathie!

Hallo, Welt!

das mit der Empathie ist noch viel komplizierter als ich sowieso schon immer dachte.
Neulich kam es in der Übungsgruppe zu einer Diskussion, ob der Satz „Was ist passiert?“ empathisch sei oder nicht.

ich bin superempfindlich beim Thema Empathie. Ich bin gern mit der Heimwerkermütze unterwegs, will immer alle Probleme lösen. Nichts habe ich schneller auf den Lippen als einen natürlich großartigen Vorschlag, wie man die Situation zum Besseren verändern kann. Und gleichzeitig merke ich, je mehr ich in die GfK einsteige, wie GIFTIG das ist. ich mag mit bestimmten Leuten überhaupt nicht mehr über meine Probleme reden, weil deren Reaktionen in mir einen Vulkan an Abwehr triggern. Zu diesen Bemerkungen gehören neben vielen anderen „wann hat das angefangen?“ und „was ist passiert?“. ICH erlebe es so, dass diese Bemerkungen zu einem intellektuellen Verstehen führen, und das ist nicht der Sinn von Empathie wie wir sie in der Gewaltfreien Kommunikation auffassen.

Hier mal ein schönes Beispiel, wie Empathie eben nicht funktioniert.

Ich schrieb an eine Bekannte:

So. Eben habe ich ganz viel Geld für meine Neuanschaffungen von der Bank abgeholt *schnief*

und sie antwortete:
denk nicht an das geld, sondern an die neuanschaffungen! du wirst es schön haben und hoffentlich habt ihr im norden auch so herrliches wetter und du kannst dann (…) alles genießen.

Das erfüllt nicht mein Bedürfnis nach Verbindung und Wertschätzung. Ja, ich WEISS, dass es lieb gemeint ist. Und trotzdem geht es mir auf den Keks!
Ich bin jetzt auf ganz dünnem Eis.
Es gibt kein Richtig und kein Falsch, von daher kann auch so ein Satz wie „denk nicht an das geld, sondern an die neuanschaffungen“ weder richtig noch falsch sein. Ich sage von mir, dass ich mich nicht verstanden fühle, dass ich keine Verbindung spüre, wenn jemand das zu mir sagt.

Vor einem Jahr hat es einen ziemlichen Knall in meinem Leben gegeben, an den ich mit Unbehagen zurückdenke. Im Rahmen der Jahresgruppe waren wir jeweils zu viert oder fünft in Empathiegruppen eingeteilt. Diese Gruppen trafen sich nicht nur während der Zeit der Fortbildungsmodule, sondern auch zwischen den Modulen, um sich gegenseitig zu unterstützen, aber auch um Empathie zu üben. In einer dieser Übungssituationen berichtete einer der Teilnehmer von seinen vielschichtigen familiären Herausforderungen. Eine GfK-Freundin fing an nachzufragen: „ich habe das nicht verstanden. Und das Kind ist von Dir?“ Er antwortete, es entspann sich ein Zwiegespräch und ich bin irgendwann einfach explodiert und habe geblafft, „das ist keine Empathie!“ Ich war in dem Moment total verzweifelt und unter Druck, aber eben nicht wirklich mit mir in Verbindung, sonst wäre ich vielleicht weggegangen und hätte mich erst mal neu sortiert.
Wir haben als Gruppe ziemlich lange gebraucht, um die Scherben meines Ausbruchs zu beseitigen. Der Befragte erzählte später, er habe sich bei den informatorischen Fragen der GfK-Freundin wie bei der spanischen Inquisition gefühlt, total unbehaglich, und er hätte aus den Fragen auch eine Bewertung rausgehört. Als hätte sie gesagt, wie, was sind denn das für Zustände??? Sie hatte es nicht gesagt, aber er hatte es so wahrgenommen. Und die Freundin war einfach nur total verwirrt und glaubte, sie müsse überhaupt erst mal verstehen, worum es sich bei dem Problem handele, um dann Empathie geben zu können. DAS ist aber nicht das, was Marshall unter Empathie versteht. Empathie ist Präsenz, und für Präsenz brauche ich NICHTS zu wissen.

Letzten Endes geht es aber um die Haltung, und nicht um Worte. im Idealfall kann ich jemandem Empathie geben, der nur Kisuaheli spricht und weinend auf einem Bahnsteig sitzt. Ich brauche nicht zu wissen, ob er seinen Zug verpasst hat oder ein geliebter Mensch nicht angekommen oder gerade weggefahren ist. Scheißegal. Ich kann mich mit dem Menschen verbinden und seine Hand halten. ich muss seinen Kummer nicht zu meinem machen, ich muss sein Problem nicht lösen, ich muss ihn nicht mal verstehen. Es reicht, beim anderen zu sein. Und wenn es Momente gibt, in denen das Gegenüber sich gesehen und gehört und unterstützt und begleitet fühlt durch den Satz „was ist passiert?“, dann ist dieser Satz in dieser Situation perfekt.

Das will ich mir in meiner heutigen Verzweiflung ins Gedächtnis rufen, wenn ich mit Sätzen zu dealen habe die da lauten:

Ich finde, dass der Kommentar, gemessen an unserer Situation nicht angebracht war.
Da hätte ich gern eine Tüte Empathie.

Vielleicht klinke ich mich heute Abend noch in die NVC-Hotline ein.

So long!

Ysabelle

Wortschätzchen: Gedemütigt

Maria lacht, der Schuftinator leidet
Schwarzeneggers gedemütigte Ehefrau tritt strahlend im TV bei Oprah Winfrey auf. Er verkriecht sich und sucht Hilfe bei Ärzten
(…) Die gedemütigte Ehefrau, die von Arnold Schwarzenegger, 63, in 25 Jahren Ehe mit mindestens 13 Frauen betrogen worden sein soll, von denen eine – ausgerechnet die langjährige Haushälterin der Familie! – sogar einen Sohn, 13, mit dem Schuftinator hat, zeigte gleich zweimal, wie stark eine Kennedy ist.
Bild am Sonntag, 22. Mai 2011, letzte Seite

Hallo, Welt!
Also, abgetippt ist dieser Satz noch irrsinniger als in der Zeitung. Was für eine Konstruktion… Wie in der Schule bin ich versucht, Haupt- und Nebensätze zu unterstreichen, um zu verstehen, was mir der Dichter in EINEM Satz so alles sagen will… Mit Freude schlage ich meine Zähne in das Wort „gedemütigt“. Eigentlich wollte ich nur die Zeitung aus dem Briefkasten holen und dann wieder mit einem Kaffee ins Bett gehen, aber dieser Artikel hat mich so befeuert, dass ich gleich zum Blog marschiert bin.

Maria Shriver ist seit 25 Jahren mit Arnold Schwarzenegger verheiratet. In dieser Zeit (wir tun mal so, als gäbe es Fakten) hat ihr Mann 13 intime Beziehungen zu anderem Frauen gehabt, von denen Maria nichts wusste. Aus einer der Beziehungen ist ein Kind entstanden, der Sohn der Haushälterin.

Tja. Liest sich ganz anders, oder?
In mir brodelt es! Warum ist Frau Shriver gedemütigt, wenn ihr Mann mit einer/vielen anderen Frauen ins Bett geht?
ich könnte mir vorstellen, dass bei ihr diverse Bedürfnisse zutiefst im Mangel waren, als sie davon erfahren hat.
Ich denke da an die Bedürfnisse
Ordnung
Sicherheit
Vertrauen
eventuell Selbstvertrauen
Beteiligung (nicht im Sinne von Mitmachen, sondern von es ist eine gemeinsame Entscheidung, dass er auch außerhalb der Ehe Sex haben kann)
Offenheit
Klarheit
Verbindung
Geborgenheit
Respekt
Wertschätzung
Harmonie
Spiritualität.

Je nach dem, welche Vereinbarungen ein Paar trifft (und wie verbindlich es sich daran hält), können diese Bedürfnisse im Mangel sein oder eben auch nicht. Mal angenommen, eine Partnerin oder ein Partner ist aus bestimmten Gründen heraus nicht (mehr) in der Lage, ein erfülltes Sexualleben zu leben. Das Paar vereinbart, ok, du holst dir sexuelle Befriedigung auswärts, aber du bist diskret, sogst für Schutz vor Ansteckungen und ich möchte nichts davon wissen… Wo wäre dann noch eine Demütigung, wenn der eine 13 aushäusige Beziehungen hatte?

Gedemütigt – was schwingt dabei mit? Das Herkunftswörterbuch (jetzt kommt es endlich zum Einsatz) führt es zurück auf das Wort Demut (das hätte ich auch noch geschafft…). Demut: Bescheidenheit, Ergebenheit. Das Substantiv ist eine Zusammensetzung aus Mut in seiner nicht mehr gebräuchlichen Bedeutung „Sinn, Gesinnung“, und einem älteren germanischen Wort für „Diener, Bediensteter“. Die ursprüngliche Bedeutung ist demnach „die Gesinnung eines Gefolgsmannes“. Das zugehörige Verb „demütigen“ meint somit „jemanden auf den Status eines Dieners herabsetzen“.
So weit das Wahrig Herkunftswörterbuch.

Die Konnotation des Wortes, der Beigeschmack, ist für mich noch ein bisschen heftiger. In meinen Ohren klingt der Satz aus der BamS so, als habe Schwarzenegger die Möglichkeit, seiner Frau die Würde zu nehmen, ihren Wert zu beschneiden. Maria Shrivers Wert hänge demnach davon ab, wie sich Schwarzenegger in der Ehe verhalte, ob er mit anderen Frauen schlafe oder nicht. Bullshit!

Ich bin selber ganz überrascht, woher diese Vehemenz in mir rührt. Irgendetwas wird angetickt, und ich habe noch nicht heraus, was es ist.
zum einen regt es mich wohl auf, dass hier eine Verbindung hergestellt wird zwischen dem Verhalten von Schwarzenegger und dem (Stellen)-Wert von Maria Shriver. Sie ist klein und ein Nichts, wenn er mit anderen Frauen ins Bett geht. Wa? … sagt mein Freund, der Maulwurf. Also, der Wert der Frau hängt von der sexuellen Treue des Mannes ab. Whow, das ist ja mal eine Erkenntnis aus dem vorvorigen Jahrtausend. Die Frau ist ein Mängelexemplar, wenn der Mann anderweitig rummacht, denn wenn sie perfekt wäre, hätte er das ja nicht nötig… Uih, da geht sie ab, die Luzie! Also, wenn mit dir was nicht stimmt, oder wenn mir bei dir was fehlt (du einen Fehler hast), dann darf ich aushäusig mein lustiges Unwesen treiben und letzten Endes bist du daran schuld, denn du hast ja nicht alles, was ich brauche… Heilige und Hure… Hurra!
Da lohnt es sich doch mal, den Blick nach innen zu richten. Welche Bedürfnisse sind bei MIR im Mangel, wenn ich mit dieser Weltsicht konfrontiert werde?
*R*E*S*P*E*K*T*
Selbstständigkeit/Autonomie
Mein Wert wird durch niemand anderes bestimmt! Also kann mich auch niemand demütigen!
Klarheit
Leichtigkeit
Spiritualität.

So isses.
Herr Schwarzenegger bestimmt nicht über den Wert seiner Frau, egal wie er sich verhält. Sein Verhalten hat nur etwas mit ihm zu tun. Ansonsten empfehle ich ihm die Selbsthilfegruppe der Anonymen Sexaholiker. Allerdings nur, wenn er in seinem Verhalten ein Problem sieht und etwas verändern will. Wenn er an seinem Treiben Spaß hat, hat er vielleicht auch Spaß an den Konsequenzen.

So long!

Ysabelle

Gefühle sind nur Gefühle…

„Mit demselben Gefühle, mit welchem du bei dem Abendmahle das Brot nimmst aus der Hand des Priesters, mit demselben Gefühle, sage ich, erwürgt der Mexikaner seinen Bruder vor dem Altare seines Götzen.“
Heinrich von Kleist, An Wilhelmine von Zenge, 13.-18. September 1800

Das mit den Gefühlen ist so eine Sache.
Ich glaube, vor 15 Jahren wusste ich überhaupt nicht, was ich fühle. Ich wusste schon ziemlich genau, wer an was schuld war und dass in mir heftiger Aufruhr herrschte, aber was ich fühlte – keine Ahnung.
Dann habe ich angefangen, mehr über meine Gefühle zu lernen. Als besonders hilfreich habe ich die Einsortierung in Basisgefühle erlebt.
Freude
Liebe (ok, Marshall hält das für ein Bedürfnis, nicht für ein Gefühl)
Angst
Trauer
Schmerz
Wut (das gilt als Sekundärgefühl, auch ein spannendes Thema)
Scham (einige GfKler glauben, dass Scham kein Gefühl ist).

Man könnte sich jetzt mal den Spaß machen, und die unendlichen Gefühlslisten in diese Basisgefühle einsortieren. Der große Vorteil ist, dass Basisgefühle keine Interpretationsgefühle „zulassen“. Solche Perlen wie „provoziert“ verdampfen dann zu „Wut“ und „im Stich gelassen“ zu Schmerz. Gerade wenn man anfängt, seine eigenen Gefühle kennen zu lernen, ist es extrem hilfreich, sie erst mal runterzubrechen auf diese überschaubaren Kategorien, jedenfalls habe ich das so erlebt.

Der nächste Schritt ist dann, Auslöser und Gefühle fein voneinander zu trennen. Ich stelle immer wieder fest, dass der Schmerz nicht etwa durch ein Gefühl ausgelöst wird, sondern durch einen Gedanken. Beispiel: Ich mache Person A ein Geschenk. Als nächstes erfahre ich, dass Person A mein Geschenk sofort weiter gegeben hat.
Als ich diese Information Wochen später erhalte, spüre ich Schmerz. A hat etwas weiter gegeben, was von mir in Liebe geschenkt war.
Aber nicht das Weitergeben des Geschenks schmerzt, sonst hätte ich ja vor Wochen im Augenblick des Weitergebens vor Schmerz schreien müssen. Da habe ich aber gar nichts gemerkt. In dem Moment, in dem ich davon erfahre, spüre ich einen Schmerz, und dieser Schmerz wird ausgelöst durch meine Gedanken ÜBER das Geschehen. Vielleicht denke ich solche Sachen wie „ich habe mir so viel Mühe mit dem Geschenk gegeben und die Person geht damit so lieblos um“. In diesem fiktivem Fall identifiziere ich mich vielleicht mit dem Geschenk und „fühle“ (also: denke) mich zurückgewiesen, geringgeschätzt, klein, unbedeutend, ungeliebt. Alles das findet in meinem Kopf statt. Und der Mythos besagt, dass Gefühle eine überwältigende Macht sind, vor der man sich fürchten muss. Man wird „von Gefühlen übermannt“ oder überwältigt, man ist stumm vor Schreck oder Glück. bei genauerem Hinsehen ist es ganz häufig so, dass es eben nicht unsere Gefühle sind, sondern die Einschätzung unserer Gefühle.
Heute hörte ich, „ich fürchte, von meinen Emotionen überwältigt zu werden“, und mein erster Gedanke war: Und was passiert dann? Was ist daran schlimm? Was ist überhaupt schlimm an unseren Gefühlen? Warum müssen wir sie verbergen, warum werden wir so erzogen, Gefühle nicht zu zeigen oder nur „erwünschte“ Gefühle zu offenbaren. Warum sollen Frauen ihre Wut zurückhalten, während es bei Männern als normal gilt, wenn sie mit der Faust auf den Tisch hauen?
An guten Tagen kann ich spüren, dass meine Gefühle die Gemälde sind, die meine Innenwelt auskleiden. Ich bin nicht meine Gefühle. Ich kann meine Gefühle wahrnehmen wie ein kostbares Bild in einer Kunstgalerie. „Oh schau an, die Trauer! Wie düster sie daher kommt! Wie schwer und wie schleppend sie sich bewegt!“ Und dann kann ich überlegen, welche meiner Bedürfnisse im Mangel sind, dass diese Gefühle sich gerade auf solche Weise in meiner Kunstausstellung zeigen. Sie gehören zu mir, ich bin für sie verantwortlich. Ich habe es auch in der Hand, die inneren Räume zu lüften und neben das finstere Gemälde einen Fliederstrauß zu stellen. Sein betörender Duft gibt dem Bild einen neuen, bittersüßen Zusammenhang.

Heute will ich mir bewusst machen, dass mich meine Gefühle nicht beherrschen. Ich kann innerlich zurücktreten und sie wie ein Gemälde betrachten, sie bewundern oder weitergehen zum nächsten Bild.

Bitten als Geschenk: Memnoon

Hallo, Welt!

Auch dieses Thema ist geklaut von Gewaltfrei im Norden. Wäre doch schade, wenn es dort unter tausenden von Terminpostings untergeht…

So long!

Ysabelle

– Memnoon Energy ist ein libanesisches Wort und heisst „Segen“. Die Story dazu: Marshall traf in einem IIT eine Frau, die im Rollstuhl war und staendig Unterstuetzung benoetigte. Als er einmal mit ihr spazieren ging, fragte er sie, ob es nicht fuer ihren Partner schwer sei, ihr immer zu helfen und ob es ihr nicht schwer falle, ihn immer wieder um Hilfe zu bitten. Sie sagte, nein, ihr Partner tippe sich immer mit der Hand auf das Herz und sage „Memnoon“, wenn sie ihn um etwas bitte, und damit wolle er sagen, dass er es als Segen fuer sich selbst empfinde, das Erbetene fuer sie tun und damit zu ihrem Wohlbefinden beitragen zu koennen. Marshall bezeichnet dies als die schoenste Art „you’re welcome“ (also „bitte“ auf ein „danke“ hin) zu sagen.

Diese Beschreibung, die mein Herz berührt, fand ich unter

http://www.anne-m-dietrich.net/9730.html?*session*id*key*=*session*id*val*

Weiter unten dann der Hinweis:

http://www.puresync.com/article090807.htm


Requests

Once we identify what our needs are we can make a request. There are two important aspects of making requests. The first aspect is to distinguish whether your request is in the positive or the negative. The second aspect is differentiating requests form demands. If we want to cast blame onto the other party, we will have difficulty making requests.

To make a request in the positive means you are asking for something to be done verses asking for something not to be done. When a request is made in the negative it does not give clear direction regarding the actions which would enrich each person’s life. Often when a request is stated in the negative there is an aim at controlling a situation. Rosenberg states, “The objective of NVC is not to change people and their behavior in order to get our way; it is to establish relationships based on honesty and empathy that will eventually fulfill everyone’s needs.” When making requests it is important to keep in mind that there may be other options that will be more fulfilling to all parties involved.

Stating a request in the positive helps it to be heard as a request verses a demand. Although you do not know if a request is truly a request until it receives a no. The rejection of a request is the test to see if it really is a demand. When a demand is heard, the person hearing it has only two choices, to submit or to rebel. When a person acts from a place of submission or rebelling, they are acting from a place of having no authority. It is important, if you perceive a demand to find the needs behind it and then find other solutions to meet these needs. By doing this, you have expanded a perceived demand into a perceived request, and then you are free to choose what feels best to you.

Requesting may be the last stated step in the NVC model, but that does not mean that after a request is stated that the process is over. We request strategies to meet our needs and it is important to be open to our needs being met in a multitude of ways. Rosenberg suggests that we interpret no’s to be memnoons. A memnoon is a request that blesses the one who is asked. It is helpful to realize that as we empathize with the feelings behind the “no” the person who is saying the “no” will be developing a stronger sense of trust for us and will be more likely to agree with another request or even offer one that you did not even think of. When a “no” is received as a memnoon or as an opportunity to serve, our intent is clear of demands and focussed on fulfilling needs.

Ich finde es sehr bereichernd zu entdecken, dass es auch andere als kaufmännische Aspekte gibt, um Menschen zu unterstützen: Ich gebe dir und du gibst mir…
Ich mache etwas für Dich, um anerkannt und geliebt zu werden…
Keine erfüllenden Gründe! Vielmehr begebe ich mich in die Marionetten-Fäden, werde abhängig von der Anerkennung anderer.
Schon cool, wenn man die Fäden durchtrennen kann und Memnoon oder Mizwa übt…

So long!

Ysabelle

Mizwa – Bitten als Geschenk

Hallo, Welt!
Hier ein Posting, das ich aus dem Forum „Gewaltfrei im Norden“ geklaut habe. Die Info passt so gut zum Thema „Sorgen als Geschenk“, dass ich nicht widerstehen konnte.

So long!

Ysabelle

In den IIT-CD’s von Marshall Rosenberg kommt neben dem Wort Memnoon (arabisch sinngemäß für: es ist mir eine Ehre und Freude, dies für Dich tun zu dürfen) auch der Begriff Mizwa für die gleiche Sache vor. Hier der Versuch, mich Mizwa zu nähern. Ergänzungen sind sehr willkommen.

Von der Homepage
http://www.mizwa.de/mizwa.html

G-tt gab uns Gebote, die Ihm lieb sind und die essentiell sind für Seinen ewigen Weltenplan. Wenn wir eine Mizwa (ein Gebot) ausüben, tun wir etwas für Ihn. Etwas das Er unendlich wünscht, das Ihn in Ewigkeit berührt.

Wir dienen Ihm, anstatt anzustreben, dass wir von Ihm bedient werden. Die Gelegenheit zu dienen bietet einen Ausweg aus dem Narzismus indem sie uns über uns selbst hinausträgt. Das Wesentliche ist nun die Tat, nicht die Person. Ist die Tat gut? Das ist die Frage. Ist sie richtig? Auch wenn ich nicht zur Gänze gut bin, kann ich das wahrhaft Gute tun. Wenn du eine Mizwa machst, ist das gut, unabhängig davon, wer oder was du sonst bist. Diese garantierte Gelegenheit bringt wirkliche Freude ins Leben. Daher heisst es „Diene G-tt mit Freude“, denn Dienen ist hier das einzige Mittel zur Freude. <...> Nicht weniger signifikant ist die Tatsache, dass wir geboren sind für diese Mizwot. G-tt hat uns für dieses Projekt geschaffen. Es ist daher gerade unser wahrstes „Selbst“, das die Mizwot ausübt, und nicht etwa Selbstverleugnung.

Die Homepage schreibt nicht „Gott“, sondern statt des o einen Bindestrich. Ich finde es verwirrend, aber um der Authentizität willen lasse ich es so.

Wikipedia vermeldet:

Mitzwa

Eine Mitzwa (so die sefardische Aussprache; aschkenasisch Mitzwo, hebr. מצוה; Mehrzahl: sefardisch Mitzwot, aschkenasisch Mitzwauss oder Mitzwojss) ist ein Gebot im Judentum, welches entweder in der Tora genannt wird oder von den Rabbinern festgelegt wurde.

Auf dieser sehr ansprechend gemachten Homepage gibt es Mizwa-Minuten, auf denen man güt die einzelnen Mizwas kennen lernen kann

http://www.de.chabad.org/library/article_cdo/aid/834627/jewish/Mizwa-Minuten.htm

Da geht es unter anderem um Gastfreundschaft, Wohltätigkeit und Nächstenliebe.

Die Seite scheint mir ganz spannend, um mehr über das Judentum und die Glaubensgrundsätze kennen zu lernen.
Unter anderem sind die zehn Grund-Mizwa (?) aufgezählt, hier ein Ausschnitt:

Als eine Verbindung zwischen G-tt und den Menschen – als eine Brücke zwischen dem Schöpfer und seiner Schöpfung – hat eine Mizwa eine kosmische Bedeutung. Sie ist eine Tat von unendlichem Wert. Der Rebbe zitierte oft Maimonides: „Eine einzelne Person, wenn sie auch nur eine Mizwa tut, kann es schaffen, die gesamte Welt zur Erlösung zu bringen.“

Deshalb erging sein Ruf an alle Juden: Selbst wenn du nicht vollständig ein Leben nach der Tora lebst, – tu trotzdem etwas. Starte mit irgendeiner Mizwa! Der Wert deiner Tat wird nicht geschmälert, nur weil du eine andere Mizwa nicht erfüllst.

Der Rebbe schlug zehn mögliche “Mizwot für Anfänger” vor. Sie sind zugleich Grundsätze der Tora, geradezu ideal für Menschen, die zum ersten Mal mit Mizwot in Berührung kommen.

<...>

5. Zedaka (Wohltätigkeit)
Geben Sie täglich Zedaka (kleine Spende). Wenn Sie Bedürftigen geben, sind Sie G-ttes Gesandter und erhalten seine Schöpfung am Leben. Ihr Zuhause gleicht einem Klassenraum. Denn wenn Sie dort eine „Puschka“ (Spendenbox) aufbewahren und täglich ein paar Münzen hineinstecken, lehren Sie Ihre Kinder den noblen Wert regelmäßigen Gebens.

Marshall sagt, in den verschiedenen Kulturen sind ca. acht Prozent der Bevölkerung solch einem Konzept wie Mizwa oder Memnoon verpflichtet, dies ließe sich statistisch nachweisen.

Struktur

„Die Musikindustrie geht heute nicht nur an mangelnder Kreativität zugrunde, sondern vor allem an ihren autoritären Strukturen und ihrem planwirtschaftlichen Kontrollwahn, so lange, bis jeder seinen Mist dazu getan hat, und bis die ganze Band in einem Netz aus Verpflichtungen hängt.“
Marek Lieberberg, Interview, 2. Juli 2005, sueddeutsche.de

Ich bin für ein paar Tage aus dem Verkehr gezogen. Nach einer Operation erhole ich mich zu Hause. Und ich merke, dass meine gewohnte Struktur zusammenbricht. Normalerweise stehe ich ca. 6.15 Uhr auf, gehe um 7.50 Uhr zur Arbeit, komme gegen 20.15 Uhr nach Hause. Auch dann gibt es noch Termine, Aufgaben, „Verpflichtungen“. Diese recht starre Struktur erfüllt mir verschiedene Bedürfnisse, zum Beispiel nach Ordnung und Sicherheit, nach Sinnhaftigkeit und Teilhabe.
Jetzt bestimmen Arzttermine meine Struktur. Gestern Morgen um 9 Uhr in der Nachbarstadt, gestern Nachmittag um 14.30 Uhr bei einem anderen Facharzt vor Ort. Ich stelle mir einen Wecker, um pünktlich beim Arzt zu sein. Das erfüllt mich nicht mit der gleichen Befriedigung wie pünktlich am Schreibtisch zu sitzen.
Gesten Abend habe ich mit Bangen erkannt, dass meine gewohnte Struktur wegbricht. Und heute Morgen entdeckte ich bei mir den Glaubenssatz, dass bestimmte Strukturen richtig sind und andere falsch.
Vor ziemlich genau zehn Jahren erhielt ich im Beruf eine ziemlich umfassende Bewertung meiner Arbeit. Darin stand unter anderem, dass ich extrem strukturiert vorgehe. Ich war ziemlich perplex, denn in meiner eigenen Wahrnehmung war ich ein Chaot mit Stapeln von Papier auf dem Schreibtisch. Aufgrund der beruflichen Einschätzung habe ich angefangen, gelegentlich genauer hinzugucken, wenn es um Struktur geht. Dabei stelle ich fest, dass es mir in beruflichen Zusammenhängen fast immer gelingt, Termine einzuhalten. Ich kann Dinge gut organisieren. Ich verpasse fast nie einen Zug, obwohl ich täglich fahre, Ich kann gut priorisieren, also Entscheidungen treffen, was als nächstes gemacht werden muss. „First things first!“ heißt das bei den Anonymen Alkoholikern.
Jetzt bin ich krankgeschrieben. Heute hat gar kein Wecker geklingelt. Ich bin um sechs, um halb acht und um neun aufgewacht und dann schließlich aufgestanden. Gestern Abend habe ich von sechs bis acht geschlafen und war dafür bis Mitternacht wach. Und vorhin habe ich realisiert, dass mir das Angst macht. Ich höre mahnende Stimmen, die mich im Ballonseiden-Jogginganzug und der Bierdose auf dem Sofa sehen, vor mir einen vollen Aschenbecher. Wer nicht arbeitet, hat keine Struktur, lässt sich gehen, ist nichts wert…
Da sind die ja, all die gängigen Vorurteile über Arbeitslose. Ausgeliefert mit der Keule, dass nur Arbeit das Leben süß macht, und Nichtstun gleichbedeutend ist mit Nichtsnutz.
Ich merke, dass ich mir bisher in meinem Leben gar keine Chance gegeben habe, meine eigene Struktur zu finden. Struktur wird vorgegeben durch Arbeitszeitregelungen, Bahnverbindungen, Öffnungszeiten von Geschäften und Sprechstunden von Ärzten. Was wäre so schlimm daran, erst nachmittags um fünf anzufangen zu arbeiten und um Mitternacht Feierabend zu haben, selbstbestimmt, versteht sich. Wie wäre es, keine Fünf-Tage-Woche zu haben, sondern im Sommer viel zu arbeiten und im Winter kaum? Warum bin ich so kritiklos bereit, mich Rhythmen zu unterwerfen, die gar nicht meine sind? Und warum fühle ich mich schlecht, wenn ich diesem Taktschlag nicht folge?
Heute will ich meine Aufmerksamkeit darauf richten, meine eigene Struktur zu finden. Ich bin bereit, die Strukturen, die meine Umwelt mir anbietet, für mich in Frage zu stellen und mir zu vertrauen, dass ich all meine Angelegenheiten geregelt bekomme, auch wenn ich mich nicht nach den Strukturen anderer richte.

Sorgen als Geschenk

Hallo, Welt!

Gestern bin ich auf ein seltsames Phänomen gestoßen.
Es gibt Menschen, mit denen mag ich über meine Sorgen sprechen und mit anderen nicht. Eine Binsenweisheit?
Seit einigen Monaten gibt es einen Menschen in meinem Leben, der sich sehr präsent zeigt. Regelmäßige Mails, Facebook-Kommentare, Anrufe. Ich erfahre nur Freundlichkeit aus dieser Verbindung. Doch obwohl mich mein Gegenüber geradezu drängt, mag ich nicht wirklich tiefer erzählen, wie es mir geht. Ich spüre gerade, dass es vielleicht an den Reaktionen liegt. Sie sind immer mir zugewandt, aber versehen mit Ratschlägen und Beschwichtigungen a la „das muss man nicht so ernst nehmen“ oder „lass dich doch davon nicht so niederdrücken“.
Samstag Abend hatte ich einen überraschenden Anruf von einer GfK-Freundin, mit der ich 2009 zusammen beim IIT (international intensive Training) in der Schweiz war. Ihre zweite Frage nach der Begrüßung war, „wie geht es dir?“, und innerhalb von drei Minuten hatte ich den Eindruck, ich wäre auf der Couch. Dafür, dass wir ein halbes Jahr nichts voneinander gehört haben, ging mir das zu schnell, zu tief. Es brauchte ganz viel Verbindung zu mir selbst, dafür einen angemessenen Umgang zu finden.
Und heute morgen habe ich verstanden, dass es ein Geschenk an andere Menschen ist, wenn ich ihnen von meinen Sorgen erzähle. Ich zeige damit mein Vertrauen, Nähe, Verbindung und Sicherheit. Es ist ein Signal: Bei dir fühle ich mich warm und geborgen, ich fürchte keine Kommentare und keine Bewertungen. Danke an meine Freunde Arbitrium und Tabasco, dass sie für mich offene Ohren haben.

So long!

Ysabelle

Kraut & Rüben (7)

Hallo, Welt!
Wenig los hier in den vergangenen Wochen. Es ist nicht so, dass es keine Themen gibt. Ich schaffe es nur nicht mehr bis in den Blog. Tagsüber kommen die zündenden Ideen und wenn ich abends nach Hause komme, bin ich einfach nur platt. Ist das das Alter?

 

Gestern Vormittag habe ich ein bisschen Bettwäsche aus der Heißmangel geholt. Ich war total müde und schlapp und sagte zu der Dame an der Kasse: „Ich bin gestern erst 22.20 Uhr von der Arbeit gekommen.“ Mit einer Art Schnauben entgegnete sie: „So lange arbeite ich immer. Erst hier im Laden und dann der Haushalt.“ Und ich dachte, puh, was ist hier denn los? Ich hätte gern so etwas gehört wie „das ist auch wirklich spät“ oder „doof, wenn man am nächsten Tag wieder früh raus muss“. Stattdessen „hörte“ ich ihre Antwort als „es ist normal, lange zu arbeiten. Stell dich nicht so an! Ich arbeite noch viel härter als du…“ und wieder einmal war ich fasziniert, was ich so alles wahrnehme, wenn ich Beobachtung und Gefühl voneinander trenne. Ich war allerdings zu erschöpft, um der Dame Einfühlung zu geben und habe wahrscheinlich nur hohl geguckt.

 

Dann kam der Termin bei der Fußpflege. 10 Uhr. Ich war pünktlich. Nach einer Minute kam sie aus der Kanine und sagte, „das dauert noch einen Moment!“ Dann stutzte sie, sah auf die Nagelfeile in meiner Hand uns sagte, „was ist das für eine Feile?“ Ich antwortete, „Von Alessandro“. Sie entgegnete, „und was soll ich damit?“ Und ich sagte: Gar nichts. Ich will mir die Fingernägel feilen.

 

Der „Moment“ dauerte dann 20 Minuten und ich hatte reichlich Gelegenheit, meinen Gefühlen und Bedürfnissen nachzuspüren.
Uff. Verspätungen ind ja eine großartige Gelegenheit, nach innen zu horchen. Denn auch „Pünktlichkeit“ steht nicht auf Marshalls Bedürfnisliste. Ich fand, dass mein Bedürfnis nach Autonomie im Mangel war. Ich möchte gern frei entscheiden, was ich mit meiner Zeit mache. Und ich brauchte Klarheit. Wie lange dauert ein Moment? Es hatte auch etwas mit Wertschätzung zu tun. Für die Kundin in der Kabine war Zeit, für mich anscheinend nicht. Noch nicht.
Als ich dann mit 22 Minuten Verspätung dran kam, habe ich gesagt, wie es mir geht: Ich bin richtig in Stress gekommen, weil meine Zeit Samstagmorgens immer sehr knapp bemessen ist. Ich muss noch zur Änderungsschneiderei, zum Friseur und ein paar anderen Stellen, und hier werden mittags die Bürgersteige hochgeklappt. Ich kann das gut verstehen, dass sich eine Kundin verspätet, aber ich wünsche mir einfach Klarheit, wie lange es noch dauert und dann kann ich in der Zwischenzeit ein paar Sachen erledigen.

 

Schweigen. Schweigen.
Schweigen.
Ich fühlte mich unbehaglich. Im Nachhinein dachte ich, Mensch, du hast die Brücke vergessen. „Wie geht es Ihnen mit dem, was ich gerade gesagt habe?“
Das geschieht mir in letzter Zeit öfter. Ich finde einen Selbstausdruck (so und so geht es mir…), aber das macht halt noch keine Verbindung. Eine günstige Gelegenheit, mich selbst in die Pfanne zu hauen. Ich lasse sie aus und nehme zur Kenntnis, dass ich mich gern stärker um diese Brücke zum anderen kümmern möchte.
Gestern Nachmittag dann ein Telefonat mit dem ausgeladenen Gast vom vorigen Wochenende. Ich war berührt zur Kenntnis zu nehmen, dass unsere Beziehung offenbar keinen ernsthaften Riss durch meine Absage erhalten hat. Ich sprach gestern Abend mit meiner GfK-Freundin Herzi darüber. Sie fand in der Rückschau mein Verhalten vom vergangenen Wpchenende wunderbar klar und eindeutig und die Anfrage von gestern einfach nur unverschämt. Während ich feierte, dass die Beziehung noch bestand, witterte Herzi einfach nur schamloses Ausnutzen. Nö, ich bewerte nicht… 🙄

 

Und dann gab es gestern noch ein Telefonat…

Gestern Abend um elf, ich war gerade am Einschlafen, klingelte das Telefon. Es war ein alter Bekannter, von dem ich jahrelang nichts gehört hatte. Er wollte von meinen Verbindungen zum Hexenkult hören. Das Telefonat hat mich tief erschüttert. An meiner Hauswand hängt ein Airbrush mit einer großen Eule und einer kleinen Hexe auf einem „Easy-Rider“-Besen. Ich bin ein großer Harry-Potter-Fan und so kam das Bild zustande. Zum Hexenkult habe ich keinerlei Verbindung. Im Verlauf des Geprächs stellte sich heraus, dass der Bekannte gerade von einem mehrwöchigen Aufenthalt in der Psychiatrie nach Hause gekommen war. Er hat Wahnvorstellungen, in denen finstere Mächte durchaus eine Rolle spielen.
Stolz erzählte er, dass er nach wie vor raucht und trinkt, und ich vermute, dass er auch Drogen nimmt. Natürlich sind alle anderen doof und man tut ihm ständig Unrecht. Als das Gespäch nach ca. 45 Minuten endete, war ich so aufgeregt und angespannt, dass ich nicht einschlafen konnte. Und ich dachte bei mir, mit Sucht und Depressionen kann ich umgehen. Aber Schizophrenie löst wirklich Angst bei mir aus. Ich merke, während ich das tippe, dass da mein inneres Kind in Not kommt. Da gibt es irgendetwas von früher, was da getriggert wird. ich habe noch nicht raus, was es ist.

 

Auch hier wird dann gleich wieder die Latte hoch gehängt. Wie hätte Marshall in diesem Gespräch reagiert? Er zitiert das Buch von Thomas Szasz „The myth of mental illness“, wonach es eben keine Geisteskrankheiten gibt. Es ist mir gelungen, das Werk antiquarisch zu erstehen, gelesen ist es noch nicht… Also: Ich müsste, ich sollte… und dann habe ich mir einfach eingestanden, dass mich dieses Verhalten des Anrufers, seine schnelle Sprache, die Dinge, die er erzählte, einfach total verunsichert haben. Abends um 11 ohne Vorwarnung so ein Gespräch – das muss mir nicht gefallen und es ist total in Ordnung, darauf nicht mit Begeisterung zu reagieren!

 

Das war das Wort zum Sonntag 😉

 

So long!

Ysabelle

Berechtigung

„Wissen und Erkennen sind die Freude und die Berechtigung der Menschheit.“
Alexander von Humboldt, Kosmos, Stuttgart 1845, Band 1, S. 36

 

Was für ein Wort: Berechtigung. Ich bin berechtigt. Der Herkunftsduden gibt nichts her über Ursprung und Bedeutung des Wortes, Aber auch als Laie kann ich erkennen, dass das Wort „Recht“ darin steckt. Ich habe ein Recht, etwas zu tun oder zu lassen. Recht – riecht das nicht auch schon wieder verdächtig nach Unrecht? Wenn ich berechtigt bin – wer erteilt mir dann diese Berechtigung? Aufgrund welcher Verdienste oder Eigenschaften bin ich berechtigt? Ich kann das auch ganz platt formulieren: Darf ich das?

 

Bei meinem Stöbern nach Informationen über dieses Thema fand ich ausgerechnet die amerikanische Unabhängigkeitserklärung, hier eine Übersetzung von 1776.

 

„Wir halten diese Wahrheiten für ausgemacht, daß alle Menschen gleich erschaffen worden, daß sie von ihrem Schöpfer mit gewissen unveräußerlichen Rechten begabt worden, worunter sind Leben, Freyheit und das Bestreben nach Glückseligkeit. Daß zur Versicherung dieser Rechte Regierungen unter den Menschen eingeführt worden sind, welche ihre gerechte Gewalt von der Einwilligung der Regierten herleiten; daß sobald einige Regierungsform diesen Endzwecken verderblich wird, es das Recht des Volks ist, sie zu verändern oder abzuschaffen, und eine neue Regierung einzusetzen, die auf solche Grundsätze gegründet, und deren Macht und Gewalt solchergestalt gebildet wird, als ihnen zur Erhaltung ihrer Sicherheit und Glückseligkeit am schicklichsten zu seyn dünket. Zwar gebietet Klugheit, daß von langer Zeit her eingeführte Regierungen nicht um leichter und vergänglicher Ursachen willen verändert werden sollen; und demnach hat die Erfahrung von jeher gezeigt, daß Menschen, so lang das Uebel noch zu ertragen ist, lieber leiden und dulden wollen, als sich durch Umstossung solcher Regierungsformen, zu denen sie gewöhnt sind, selbst Recht und Hülfe verschaffen. Wenn aber eine lange Reihe von Mißhandlungen und gewaltsamen Eingriffen, auf einen und eben den Gegenstand unabläßig gerichtet, einen Anschlag an den Tag legt sie unter unumschränkte Herrschaft zu bringen, so ist es ihr Recht, ja ihre Pflicht, solche Regierung abzuwerfen, und sich für ihre künftige Sicherheit neue Gewähren zu verschaffen.“

 

Damals ging es um die Frage, ob die englische Krone das Recht habe, von den Kolonien Steuern zu erheben, ohne dass deren Einwohner im Unterhaus vertreten waren. Ganz so dramatisch war es bei mir an diesem Wochenende nicht. Es ging „nur“ um die Frage, ob ich an einer ausgesprochenen Einladung festhalten muss, obwohl das Verhalten meines Gastes meine Bedürfnisse nach Wertschätzung, Respekt, Vertrauen, Gemeinschaft und Verbindung in tiefsten Mangel brachten.
Ich hatte eingekauft und bei der telefonischen Feinabstimmung, wann es denn essen geben würde, gesagt, „wir grillen“. Als mein Gast mitbekam, dass ich von einem Elektrogrill sprach (ich habe keinen anderen), war er offenbar frustriert, entrüstet und genervt. Dann hörte ich die Worte: „Das kann man nicht essen. Dann werde ich nicht satt. Dann gehe ich hinterher zum Döner-Mann.
Ein Wort gab das andere ich ich zog schließlich meine persönliche Notbremse. OK, wenn dir das so widerlich ist, geh doch gleich zum Döner-Mann. Das wars mit der Einladung.

 

Später erfuhr ich dann, dass sich die ausgeladenen Gäste nun in der Nachbarschaft zum Essen verabredet hatten.
Bin ich berechtigt, jemanden auszuladen, den ich eingeladen hatte? Bin ich berechtigt die Hand zu heben und zu sagen, stop, so geht es nicht?
Ich wünschte, ich hätte einfach nur gesagt, stop, so geht es nicht. Dann wäre Raum für Verhandlungen gewesen. Stattdessen habe ich mich wie in Notwehr wahrgenommen. SO will ich mich nicht behandeln lassen. Und die einzige Lösung, die mir in dem Moment einfiel, war: Dann iss halt woanders. Beim Nachspüren merke ich, dass ich nicht so tief mit meinen Gefühlen verbunden war wie ich es mir rückblickend wünschen würde. Ich habe nichts über meine Gefühle und Bedürfnisse gesagt, sondern habe eine Tür zugeknallt. Ich bin verantwortlich für mein Tun und mein Unterlassen. Bin ich berechtigt zu sagen: So nicht mit mir?

 

Intellektuell weiß ich, dass ich dazu berechtigt bin. Aber es fühlt sich nicht so an. Mein eigenes Verhalten erfüllt nicht mein Bedürfnis nach Verbindung, Gemeinschaft, Vertrauen, Sicherheit und Respekt anderen Menschen gegenüber. Das ist schwer auszuhalten. Als ich mich in dieser Situation so verhalten habe, waren meine Bedürfnisse Schutz, Respekt, Selbstvertrauen und Authentizität. Und das fühlte sich so dringend an, dass in dem Moment kein Raum war für die Bedürfnisse der anderen Seite.
Ich bin berechtigt, meine eigenen Grenzen zu setzen. Ebenso bin ich berechtigt, mit den Folgen umzugehen. Und andere haben die gleichen Rechte.

Das Schlusswort stammt aus der heutigen Tagesmeditation von Melody Beattie:

Heute werde ich nach meiner eigenen Wahrheit suchen und zulassen, dass andere sich auf ihre Suche begeben. Ich werde meinen Auffassungen und denen der anderen Beachtung schenken. Wir alle befinden uns auf der Reise zu unseren eigenen Entdeckungen – die heute für uns richtig sind.

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