Ich hätte gern ein Paar Giraffenohren!

Unterwegs mit gewaltfreier Kommunikation – von Ysabelle Wolfe

Do nothing-Zeit

Hallo, Welt!

Am Samstag war ich als Assistentin bei einem GfK-Workshop, bei dem ein Lehrer von den Problemen mit einem Schüler erzählte. Am Ende einer Übung mit dem Tanzparkett fand er für sich heraus, dass er den betreffenden Jungen beim nächsten Eintreten einer vergleichbaren Situation bitten will, die Klasse zu verlassen und in einem anderen Raum zu warten, bis der Unterricht vorbei ist. Ich war ganz elektrisiert, denn es erinnerte mich an eine Erzählung von Marshall, der berichtete, wie einst an einer GfK-Schule ein Do-Nothing-Room eingerichtet wurde. Dorthin konnten Schüler gehen, die nicht am Unterricht teilnehmen wollten. Es war keine Strafe, sondern einfach ein Ort innerhalb der Schule, wo Nichtstun total in Ordnung war und auch die anderen nicht beim Lernen störte.

Gestern habe ich eine halbe Stunde vor dem Fernseher gesessen und nichts getan.

Und danach habe ich festgestellt, dass ich fast nie Do-nothing-Zeit habe. Mein Leben rauscht in einem Tempo, das keine Zeit für „Do nothing“, für Nichtstun lässt.
Nichtstun – das klingt in meinen Ohren wie Nichtsnutz. Wir haben so schöne Formulierungen wie Faulpelz, auf der faulen Haut liegen, faule Socke. Etwas fault, wenn es nur irgendwo rumliegt. Es setzt also Schimmel an. Es taugt nichts. Die Italiener sagen, Dolce far niente, süßes Nichtstun. in Deutsch ist Müßiggang aller Laster Anfang.

Nietzsche schrieb dazu:
„Die Arbeit bekommt immer mehr alles gute Gewissen auf ihre Seite: Der Hang zur Freude nennt sich bereits „Bedürfniss der Erholung“ und fängt an, sich vor sich selber zu schämen. „Man ist es seiner Gesundheit schuldig“ — so redet man, wenn man auf einer Landpartie ertappt wird. Ja, es könnte bald so weit kommen, dass man einem Hange zur vita contemplativa (das heisst zum Spazierengehen mit Gedanken und Freunden) nicht ohne Selbstverachtung und schlechtes Gewissen nachgäbe.“

Bestimmt hat mein Verhalten etwas mit meinen inneren Antreibern zu tun. Sie heißen
1. Sei perfekt
2. Beeil dich
3. Streng dich an
4. Mach es allen recht
5. Sei stark

und ein Test hat mal ergeben, dass mich alle fünf Antreiber ziemlich heftig im Würgegriff haben.
Ich gestehe es mir nicht zu, do-nothing-Zeit zu haben. Es ist doch immer was zu tun. Katzenklos, Bügelwäsche, endlich die Bilder in den Blog re-importieren, einen Rückruf, einen Brief beantworten… sei perfekt, machs allen recht…
In mir ist heute Abend ein großes Bedauern, dass ich so wenig Do-nothing-Zeit für mich finde. Ich kann sehen, welche wundervollen Bedürfnisse ich mir mit meinem vielfältigen Beschäftigungen erfülle. Und immer stärker wird in mir der Wunsch, einen Sabbat zu haben, einen Ruhetag, an dem ich nicht einmal das Licht selbst anmachen muss.

Am kommenden Wochenende schenke ich mir selbst einen reinen Do-Nothing-Tag.
Beschlossen und verkündet.

So long!
Ysabelle

Geschenke

Hallo, Welt!
Juristen kriegen ja Musterfälle, die sie lösen müssen. Ich hatte heute den Brief eines alten Ehepaares (keine Verwandten von mir…) auf dem Tisch. Darin schrieben die Herrschaften, sie hätten ihrem Enkel (33) per Brief zum Geburtstag gratuliert und 50 Euro beigelegt. Zum wiederholten Mal hätte es keine Reaktion gegeben. „Was machen wir falsch? Verlangen wir zu viel?“

Solche Aussagen kenne ich auch aus meiner Familie.
So war das Schreiben eine günstige Gelegenheit, noch einmal drüber nachzudenken, was es denn so auf sich hat mit Geschenken.

Ich vermute, das alte Ehepaar wollte sich mit dem Brief und dem Geldgeschenk an den Enkel einige wundervolle Bedürfnisse erfüllen:

Verbindung
Wertschätzung
Unterstützung
Gemeinschaft/Zugehörigkeit
Beteiligung

fielen mir dabei als erstes ein. Brief und Geschenk waren also eine Strategie, und in diesem konkreten Fall eine, die nicht funktioniert hat.

Ich habe ein paar Überlegungen angestellt, welche anderen Strategien es geben könnte, um diese wundervollen Bedürfnisse zu erfüllen. Ich bin mal gespannt, ob das alte Ehepaar darauf eingeht, ob ihnen meine Gedanken etwas nützen.

Geschenke sind eine zweischneidige Sache, das erlebe ich immer wieder. Ich finde es schwierig, Geschenke anzunehmen und schenke doch selber mit Freude. Ich glaube, es lohnt sich, wenn ich darauf noch mal einen genaueren Blick werfe. Welche Bedürfnisse will ich mir mit dem Schenken erfüllen? Und ist das wirklich die beste Strategie, die mir zur Verfügung steht?

So long!

Ysabelle

Wortschätzchen: Destruktiv

Hallo, Welt!
Ich habe Euch ein Wortschätzchen zum Thema „destruktiv“ versprochen. Zunächst die Geschichte dazu.
Gemeinsam mit einem Bekannten hatte ich eine Veranstaltung moderiert. Ein Teilnehmer A. machte viele Bemerkungen, sprach davon, wieviel Zeit noch für Entschlüsse bliebe und dass ihm alles zu schnell ginge.
Mein Bekannter reagierte sehr schroff.
Als wir später über diese Sitzung sprachen, sagte er, A. sei einfach total destruktiv gewesen.
Schon als ich das hörte, dachte ich, uff, was braucht einer, der das Verhalten eines anderen destruktiv findet? Ich hatte einfach keinen Schimmer und nahm mir vor, darüber noch mal in Ruhe zu philosphieren.

 

Ich bin auch des Copy & Paste mächtig und zitiere Wikipedia:
Destruktivität (lateinisch destruere „niederreißen“, „zerstören“) beschreibt die zerstörerische Eigenschaft von Dingen oder Sachlagen bzw. die zerstörerische Geisteshaltung oder Handlungsweise von Menschen. Sie ist das Gegenteil von Konstruktivität oder Produktivität.
Umgangssprachlich wird „destruktiv sein“ ähnlich wie oder als Steigerung von „negativ“ benutzt. Der Vorwurf der Destruktivität in einer Diskussion meint die Überbetonung negativer und feindselig kritisierender Elemente. Im Gegensatz dazu werden bei konstruktiver Kritik auch konkrete Verbesserungsvorschläge ausgedrückt.

 

Ah, das hilft tatsächlich weiter, denn jetzt kann ich mir vorstellen, dass sich mein Bekannter nach Produktivität, vielleicht auch nach Effizienz gesehnt hat.
Aber mal der Reihe nach.

 

Welche Gefühle konnte ich bei meinem Bekannten wahrnehmen?
Er schien mir
ärgerlich
alarmiert
empört
frustriert
geladen
genervt
irritiert
kribbelig
kalt
vielleicht auch perplex im Sinne von verwundert
streitlustig. Hm. Vielleicht ein bisschen zu stark.
sauer
ungeduldig
unzufrieden
widerwillig.

 

Und seine unerfüllten Bedürfnisse waren vielleicht
Vertrauen (in diesem Fall von A. in die geleistete Arbeit
und vielleicht in die eigene Person)
Respekt
Vielleicht Autonomie (sag mal, traust du mir nichts zu oder was???)
Ehrlichkeit (worum geht es dir wirklich, A.?)
oder Authentizität, das haut ein bisschen in die gleiche Kerbe,
hat aber noch eine andere Konnotation.
Beteiligung
Anerkennung/Wertschätzung für die geleistete Arbeit
Unterstützung
Gesehen/gehört werden
Effizienz, damit verbunden die oben schon entdeckte Produktivität,
Verständnis
Begeisterung
Leichtigkeit
Spiritualität.
Wäre ich es selbst gewesen, wäre es mir vermutlich auch noch um Harmonie und Schutz gegangen, aber ich habe die Reaktionen von A. gar nicht als destruktiv erlebt. (äh – ist das GfK?) Also, ich konnte mich ganz gut mit den Bedürfnissen von A. verbinden. Allerdings konnte ich mich auch mit der Gefühlslage meines Bekannten verbinden, auch wenn ich ihm spontan keine Einfühung geben konnte.

 

Ich finde es aber ganz spannend,
noch mal nach der Gefühlslage von A. zu schauen. Wie mag er sich gefühlt haben, als er diese Bemerkungen machte, die meinen Bekannten auf den Gummibaum brachten?

 

A. schien mir
alarmiert
aufgeregt
besorgt
betroffen
einsam
irritiert
erschlagen
erschöpft
irritiert
perplex
sorgenvoll
ich habe ihn nicht als streitlustig wahrgenommen, aber mein Bekannter.
Unbehaglich
widerwillig
zögerlich.

 

Ja, das kommt ungefähr hin.

 

Und seine unerfüllten Bedürfnisse?
Beteiligung!
Sicherheit
Gemeinschaft
wahrscheinlich auch Unterstützung, wenn ich auch die Strategie nicht als besonders zielführend erlebt habe.
Verbindung
Verstehen
Ritual/Feiern
und Spiritualität.

 

Wundervolle Bedürfnisse, die A. da hatte. Wie schön, wenn wir neue Wege finden, sie zum Ausdruck zu bringen…

 

So long!
Ysabelle

Wie wahr!

Hallo Welt!
Dieser Spruch sprang mich heute Morgen an. Ich bin begeistert. Druckt davon irgendjemand Postkarten? Dann bestelle ich 100.
So long!

Ysabelle

Kraut & Rüben (5)

Hallo, Welt!
Mir schwirren so viele Themen durch den Kopf, es liefert nur keiner die Zeit, oder vielleicht besser die Muße, um sie hier auszuformulieren.
Als ich eben nach Hause kam, fand ich im Briefkasten eine Warensendung ohne Absender. Darin enthalten war dieses Tierchen und es erinnert mich im Aussehen sehr an ein Ultraschallbild, das ich dieser Tage sah. Schemenhaft zu erkennen war darauf mein Enkelkind. Wusste gar nicht, dass Babys in einem frühen Stadium wie Schlüsselanhänger aussehen.

 

Seit Tagen beschäftigt mich ein Erlebnis, das ein Bekannter abschließend zusammenfasste: „Das hat gut geklappt mit uns. Das alte Good Cop – Bad Cop-Spiel…“

 

Wir hatten gemeinsam eine Sitzung geleitet und während er den scharfen Hund gab, war es mir wichtig, die Giraffenohren aufzusetzen. Zum Glück war ich so genährt, dass ich es aushalten konnte, als es konfliktig wurde. Geradezu mit Freude konnte ich einem der Beteiligten Empathie geben. Noch vor einem Jahr war das für mich mit diesem speziellen Menschen ganz schwierig, doch diesmal war ich ganz begeistert, wie gern ich mich eingefühlt habe und einen Beitrag zum Frieden leisten konnte.

 

Heute nun traf ich meinen Bekannten wieder. Es drängte mich, das Thema „Das alte Good Cop – Bad Cop-Spiel“ noch einmal anzusprechen, denn schon Anfang Dezember war ich über diesen Ausdruck gestolpert und ich merke, für mich passt das nicht.

 

Ich hatte nicht den Eindruck, dass ich mich verständlich machen konnte. Und das widerum macht mich traurig. Mir geht es um die Haltung. GfK ist nicht Mittel zum Zweck, es ist nicht eine neue Variante des alten Spiels „Good Cop – Bad Cop“. Ich möchte jedem Menschen Respekt entgegen bringen können, mich von den Urteilen in meinem Kopf lösen. Ich merke, dass es besser geht, dass ich Fortschritte mache. Besonders geschockt und erschrocken bin ich, wenn ich von Leuten, die ich sehr schätze und von deren geistigen Fähigkeiten und spirituellen Überlegungen ich mich immer wieder angezogen fühle, solche Bewertungen höre: „Das war total destruktiv“. Dazu wird es in den kommenden Tagen ein Wortschätzchen geben.

 

Ich merke, dass ich in solchen Situationen immer noch den Erklärbär geben will. Ich schaffe es nicht, meinem Gegenüber einfach nur Empathie zu geben. Stattdessen rede ich von den wunderschönen Absichten des Handelnden und betone, dass solche Urteile wie „destruktiv“ nicht dem Frieden dienen. Diese Kommentare von mir auch nicht. Der Weg ist lang, Leute!

 

Ich werde mir jetzt den Rest des Abends eine große Dose Empathie geben. Und eine Schüssel Obstsalat.

So long!

Ysabelle

Ein Podcast zum Thema Empathie

Hallo, Welt!
Ich bin ein großer Fan der Reihe „Funkkolleg“ im Hessischen Rundfunk. Abends höre ich gern einen Podcast und besonders gern zu Themen aus dem Bereich der Psychologie.

Empfehlen möchte ich diesen Beitrag über Empathie
(hinter dem Link ist der 25-Minuten-Vortrag).

Viel Spaß beim Lesen und Hören!

So long!

Ysabelle

12. Die Schlüsselrolle der Empathie

Ohne Empathie gäbe es kein Verständnis, keine Hilfsbereitschaft, keine Nähe zwischen Menschen.
Empathie ist ein zentraler Teil menschlicher Beziehungskunst. Sie gehört zu unserer genetischen Ausstattung, ist also ein naturgegebenes Geschenk. Ohne Empathie gäbe es kein Verständnis, keine Hilfsbereitschaft, keine Nähe zwischen Menschen.
Audio: Die Schlüsselrolle der Empathie – Der Beitrag zum Nachhören 24:56 Min
(© hr 2008)
Hintergrund
Die Fähigkeit, sich in andere einzufühlen, wird Empathie genannt: Wer einfühlsam ist, nimmt wahr, was im anderen vor sich geht. Er versteht, was den anderen bewegt, warum er so spricht und sich so verhält, wie er das tut.

Empathie ist ein seelisches Potential, das dem Menschen zu eigen ist. Wir leiden mit, wenn ein nahestehender Mensch Kummer oder Schmerzen hat. Ist jemand in Not, haben wir oft spontan das Bedürfnis zu helfen. Wer leidet, braucht meist keine großen Worte, sondern vor allem das Gefühl: Jemand ist da, hört zu, fühlt mit und versteht mich.

Empathie ist ein zentraler Teil menschlicher Beziehungskunst. Sie gehört zu unserer genetischen Ausstattung, ist also ein naturgegebenes Geschenk. Ohne Empathie gäbe es kein Verständnis, keine Solidarität, keine Hilfsbereitschaft, keine Nähe zwischen Menschen. Unser Einfühlungsvermögen befähigt uns, am Leben anderer teilzuhaben, uns zu entwickeln und im Austausch mit anderen über uns selbst hinauszuwachsen. Die Fähigkeit, Empathie so auszudrücken, dass sie von anderen als angemessen und angenehm empfunden wird, soll eines der Geheimnisse einer sympathischer Ausstrahlung sein.

Die biologische Basis der Empathie

Die empathische Teilnahme am Leid eines anderen führt nicht automatisch zu Mitgefühl. Je besser einer sich in die Innenwelt seiner Mitmenschen hinein versetzen kann, desto leichter kann er andere auch manipulieren und ausnutzen. So fühlt der Missgünstige sich in das Glück eines anderen ein und reagiert mit Neid.
Es gibt ein zu wenig und auch ein zu viel an Empathie. Menschen im psychotischen Wahn versetzen sich zu stark in andere hinein. Wer am Borderline-Syndrom oder an einer narzisstischen Störung leidet, ist oft wenig empathiefähig. Dass wir nachempfinden können, was ein anderer fühlt, denkt oder beabsichtigt, gilt als eine Meisterleistung unseres Gehirns. Unser Gehirn ist fähig, mit der Mimik, der Gestik und der Körperhaltung eines anderen in Resonanz zu treten und so die Zeichen der Angst, der Freude oder des Ekels zu erspüren. Dank eines komplizierten neuronalen Netzwerkes erkennt das Gehirn den Gesichtsausdruck. Es gleicht diesen mit eigenen Erfahrungen ab und ruft automatisch eine emotionale Reaktion hervor.

Im neuronalen Netzwerk, das für die soziale Wahrnehmung zuständig ist, spielen sogenannte Spiegelneurone eine Schlüsselrolle. Die Spiegelneurone wurde 1996 von einer italienischer Forschergruppe um den Neurophysiologen Giacomo Rizzolatti an der Universität Parma entdeckt. Spiegelneurone, die zunächst in der Großhirn-rinde von Rhesusaffen gefunden und dann auch beim Menschen nachgewiesen wurden, gelten als die biologische Basis der Empathie.

Gefühlsansteckung: Babys fühlen instinktiv mit
Menschen kommen mit der Fähigkeit zur Empathie auf die Welt. Doch dieses Potenzial muss gefördert werden, damit es sich entfalten kann. Der Lernprozess beginnt schon im Mutterleib, wenn das Ungeborene die Gefühlsregungen der Mutter wahrnimmt – wenn es spürt, dass die Mutter aufgeregt ist, sich freut oder sich Sorgen macht. Am Anfang des Lebens ist Einfühlungsvermögen die rein instinktive Fähigkeit, mit dem Körper der Mutter mitzuschwingen. Diese Gabe entwickelt sich schrittweise immer weiter. Kinder müssen lernen zu erspüren, wie es dem anderen geht. Sie können ihre Gefühlswelt nur ausbilden, wenn sie sich mit ihren Gefühlen im Spiegel der Mutter wiedererkennen. Babys fühlen noch sehr instinktiv mit. Wenn ein anderes Kind weint, heulen sie einfach mit. Wissenschaftler nennen das Gefühlsansteckung, noch nicht Empathie. Der Mechanismus der Gefühlsansteckung gilt als die emotionale Basis, aus der heraus sich zwischen dem 14. bis 18. Lebensmonat die Empathie entwickelt.

Emphatie kann geschult werden
Experten vermuten, dass in unserer Gesellschaft die Zahl der Menschen zunimmt, die nicht in der Lage oder nicht willens sind, sich in andere hineinzuversetzen. Bei vielen ist das Potenzial, sich in andere einzufühlen, jedoch nicht verschwunden, sondern nur verschüttet. Es ist überdeckt von Emotionen wie Angst, Wut oder Trauer. In vielen Fällen kann eine psychotherapeutische Behandlung helfen, das Gefühl für sich selbst und für andere wieder zu entdecken. Ist das Einfühlungsvermögen grundsätzlich vorhanden, lasse es sich auch trainieren, erklärt der Kölner Psychiater Kai Vogeley. Anders bei Autisten, da lasse sich die Empathie vermutlich nicht trainieren. Für autistische Kinder und Jugendliche gibt es jedoch mittlerweile Therapieprogramme, die helfen sollen, das Verhaltensrepertoire zu erweitern. Für Erwachsene werden solche Trainingsprogramme gerade entwickelt.

Von Lisa Laurenz

Die Farbe des Grolls

Die Bezeichnung Groll für „Zorn, Wut“ geht auf das 14. Jahrhundert zurück und gehört zu dem unter grell dargestellten Stamm, bezieht sich aber ursprünglich auf eine wütende Lautäußerung. Dazu die Ableitung „grollen“murren, missmutig sein, die auf das Mittelhochdeutsche grollen zurückgeht und verwandt ist mit dem altenglischen gryllan, mit den Zähnen knirschen, zornig sein.
Wahrig Herkunftswörterbuch

Wenn ich Gefühlen Farben zuordnen wollte, wäre Wut hellrot und flüssig. Zorn wäre dunkler rot und dickflüssig. Und Groll wäre rotschwarz wie gestocktes Blut und zäh.

Freitag bekam ich einen Anruf, in dem jemand seine Bedenken bezüglich eines Plans zum Ausdruck brachte. Ich spürte so heftige Gefühle in mir, dass ich nicht nur dem Anrufer gegenüber wenig höflich war, sondern auch kaum wusste wohin mit mir. Ich erinnerte mich irgendwann an Marshalls Erzählungen über John, mit dem er in einem schwedischen Gefängnis arbeitete. John hatte einen Antrag auf eine Ausbildung gestellt und drei Wochen keine Antwort von der Gefängnisleitung bekommen. „What are you telling yourself?“, fragte ihn Marshall, und John schnaubte, „I’m not telling me anything…“. Doch auf Nachfragen stellte sich heraus, dass John unter anderem glaubte, „für die Gefängnisleitung sind wir nur ein Haufen Nichts und unsere Bedürfnisse interessieren sie überhaupt nicht“. Und diese Gedanken lösten bei John eine gehörige Wut aus.
Nach dem Telefonat am Freitag fragte ich mich schließlich: Was erzählst du dir selbst über dieses Gespräch? Und ich hörte von mir Sachen wie „die trauen uns nichts zu. Die wollen immer über alles bestimmen.“ Und je länger ich mir zuhörte, desto mehr erkannte ich, dass ich an einen alten Groll gekommen war. Obenauf lag Wut, hellrot, frisch und sprudelnd. Aber darunter war ein schwarzer Groll aus Kindertagen, als ich den Menschen in meinem Umfeld scheinbar machtlos ausgeliefert war, als meine Meinung nicht zählte.
Mühsam gelang es mir, die schönen Absichten der Gegenseite wenigstens zu ahnen. Beitragen, Unterstützung, Weitergabe von Erfahrungen, Leichtigkeit, Harmonie…
Mit diesen Gedanken merkte ich, dass es für mich leichter wurde, meinen ursprünglichen Plan loszulassen und die Argumente der anderen Seite zu schätzen und einzubeziehen. Ich spürte Erleichtung, Respekt und so etwas ähnliches wie Verbindung.
Zu meiner Überraschung fand ich heute Morgen eine Mail in meinem Briefkasten, in dem unserem Organisations-Team vollkommen freie Hand bei der Ausführung gelassen wurde.
Wunder gibt es immer wieder, wenn ich bereit bin, mein Denken zu verändern.

Heute bin ich bereit, Angriffsgedanken genauer zu betrachten und loszulassen.

Feindbilder

„Damit Kampf sei, muss es einen Feind geben, der widersteht, nicht einen, der gänzlich zugrunde geht.“ –
Petrus Abaelardus, Ethica

Ich habe kein Fernsehbild mehr.
Die erste Vermutung: Schnee in der Schüssel. Der Monteur war da und maß die Anlage durch, stellte schließlich die Diagnose: LNB in der Schüssel kaputt, ein wichtiges Bauteil für den Empfang von Programmen. In einem ersten Gespräch suchten wir Lösungen. Dann hieß es: Der Hubwagen kommt nächste Woche, fährt einen Monteur aufs Dach, das LNB wird ausgetauscht, fertig.
Doch nach und nach gab es weitere Informationen, die mich mehr und mehr irritierten. Der Hubwagen muss auf der gegenüberliegenden Straßenseite verankert werden, also muss die Straße gesperrt werden. Verwaltungsgebühr: 30 Euro. Absperrkosten durch die zuständigen Autoritäten: 75 Euro (für Selbstabholer mit Kleinlaster kostenlos…). Hubwagen pro Stunde: 80 Euro. Plus Monteurzeit, versteht sich. Geplante Dauer des Einsatzes. Ca. 90 Minuten…
In einem Telefonat machte ich gestern deutlich, dass ich mir eine andere Lösung wünsche, da die Kosten von mindestens 260 Euro ohne einen Handschlag mir zu hoch sind. Mein Gesprächspartner argumentierte, es ging hoch her am Telefon und wir verabredeten uns für heute früh erneut.
Ich schlief sehr unruhig, war schon im Traum auf Krawall gebürstet. Der soll nur kommen… andere sind auch an die Schüssel gelangt, ohne einen Hubwagen zu benutzen… Abzocke… die sind nur zu faul, auf die Leiter zu steigen… und kurz bevor der Monteur eintraf, wollte ich schon nach anderen Firmen im Internet gucken, um gleich eine Alternative zu haben.
Zum Glück gab es einen Moment der Besinnung und der Selbstempathie. Wie geht es mir, was brauche ich? Die Tatsache, dass ich ein regelrechtes Feindbild aufgebaut hatte, war ein deutlicher Hinweis darauf, dass wichtige Bedürfnisse im Mangel waren. Ich fand Effizienz, Kosteneffizienz. Kreativität. Da muss es doch eine andere Lösung geben. Selbstvertrauen. Wenn mir mit einer Lösung nicht wohl ist, darf ich es sagen und Gehör finden. Und ich finde auch eine Lösung, die mir besser schmeckt. Unterstützung mit dieser Schüssel war mir wichtig. Und ich wollte gern darauf vertrauen, nicht mit einer hohen Rechnung über den Tisch gezogen zu werden.
Nachdem mir meine Bedürfnisse klarer waren, konnte ich darüber nachdenken, welche Bedürfnisse wohl der Monteur hatte. Leichtigkeit, fiel mir ein. Und Sicherheit. Im Korb eines Hubwagens lässt sich wahrscheinlich bei diesem Wetter entspannter arbeiten als auf einer Leiter.
Als der Monteur eintraf, hatte ich einen Kaffee für ihn fertig. Gemeinsam begutachteten wir den Weg zur Antenne vom Balkon aus. Wir diskutierten auch, die Schüssel zu versetzen. „Ich habe verstanden, dass Sicherheit für Sie ein wichtiger Aspekt bei der Ausführung dieser Arbeit ist. Auch mir ist es ein Anliegen, dass hier niemand zu Schaden kommt. Welche Alternativen kann es zum Hubwagen geben?“
Es war, als hätte es nie zwei Meinungen gegeben. im Nu war eine neue Lösung gefunden. Mit einer langen Spezialleiter werden zwei Mann mir kommende Woche aufs Dach steigen, vorausgesetzt, es schneit nicht inzwischen oder es regnet am fraglichen Tag.

Heute will ich aufmerksam werden, wenn ich in einem Gegenüber einen Feind zu sehen glaube. Ich verbinde mich mit meinen Bedürfnissen und bin bereit, mich neuen Lösungen zu öffnen.

I like Giraffenohren

Hallo, Welt!
Zum wiederholten Mal hat ein Gast einen Kommentar hinterlassen, ein Facebook-„Like“-Button wäre toll auf diesem Blog.
Zum wiederholten Mal habe ich die angegebene Mailadresse angeschrieben und diesen (neuen) Leser gefragt, welches Bedürfnis er sich damit erfüllen würde, wenn es hier einen Like-Button gäbe.
Zum wiederholten Mal ist eine solche Mail zurückgekommen mit dem Hinweis: Empfänger unbekannt.

Es gibt einen Grund, warum ich diesen Button hier nicht einbauen möchte:

Datenschutzhinweis sollte angepasst werden, wenn man den Like Button von Facebook eingebaut hat

Wenn man zum Beispiel auf seiner Homepage einen „Like Button“ von Facebook eingebaut hat, sollte man auf jeden Fall darauf achten, dass man die Datenschutzhinweise auf der Webseite anpasst. In mehreren Blogs habe ich verschiedene Diskussionen zu dieser Thematik gelesen und einen sehr schönen Beitrag dazu im Blog von Thomas Helbing gefunden. Wenn man den „Like Button“ von Facebook eingebunden hat, wird die IP-Adresse an Facebook im Hintergrund gesendet. Sollte der User bei Facebook eingeloggt sein, kann Facebook sogar ermitteln welche Person um Zeit xy auf Seite xx oder so war. Da man durch den Einbau des „Like Button“ diese Daten an Facebook weiter gibt, muss man den Datenschutzhinweis auf seiner Seite anpassen.

So viel Überwachung entspricht nicht meinem Bedürfnis nach Autonomie, Vertrauen und Beteiligung.

So long!

Ysabelle

Wortschätzchen: Abgekanzelt

Hallo, Welt!

Gestern sprach ich mit einer Freundin, die von einem Erlebnis erzählte: Es ist nicht schön, so abgekanzelt zu werden…
Sofort machte ich im Geiste eine Notiz: Lecker Wortschätzchen!
Ich vermute mal, abgekanzelt stammt aus dem kirchlichen Zusammenhang. (An dieser Stelle musste ich einen kleinen Ausflug zu Amazon machen und ein Herkunftswörterbuch kaufen. Ich wollte schon lange eins haben, denn der olle Mackensen aus dem Studium reicht mir nicht). Früher wurden ja die Sünder während der Predigt von der Kanzel ermahnt. Vielleicht nicht unbedingt mit Namen, aber doch so, dass zumindest mal die betreffende Person – wenn nicht noch andere – mal sehr genau wusste, dass sie gemeint war. Heute benutzen wir dieses Wort gern, wenn wir zum Ausdruck bringen wollen, dass Person A über Person B etwas sagt, was Person B nicht gern hört. Milde formuliert. Ich vermute, die Gefühle, die dabei lebendig wurden, waren:
angespannt
bedrückt
beklommen
bestürzt
bitter
dumpf
durcheinander
einsam
vielleicht entrüstet?
erschreckt
furchtsam
vielleicht genervt
sauer
schockiert
eventuell streitlustig
unter Druck
unbehaglich
verstört
widerwillig
zornig.

Wie immer kommt es natürlich sehr auf die Situation an, vermutlich auch darauf, ob ich als Betroffener innerlich den Anmerkungen von A zustimme oder in Opposition bin.
Und welche Bedürfnisse sind im Mangel, wenn ich mich „abgekanzelt“ wähne?
Als erstes springt mich Respekt an.
Schutz
Vielleicht Integrität und Beteiligung.
Eventuell gerät mein Bedürfnis nach Zugehörigkeit zu einem Team, einer Gemeinschaft in Mangel.
Meine Geborgenheit könnte in Gefahr sein.
Harmonie, natürlich…
Vielleicht ist auch auf einen Schlag die Leichtigkeit perdu, flöten sozusagen. Und die Begeisterung gleich mit.

Ich glaube, bei „abgekanzelt“ ist es oberspannend, die Beobachtung genau zu benennen. Tonfall und Wortwahl spielen mit Sicherheit eine wichtige Rolle als Auslöser. Und wie som oft – an einem perlen mahnende Worte ab, andere sind schwerst betroffen, traurig, schockiert, hilflos…

Ich behaupte, das wunderbare Wort „abgekanzelt“ gehört mit auf die Liste der Interpretationsgefühle.
Was meint Ihr?

So long!

Ysabelle

In den schönen Absichten gesehen werden

„Das Ziel des Dialogs ist nicht Unterwerfung und Sieg, auch nicht Selbstbehauptung um jeden Preis, sondern gemeinsame Arbeit in der Methode und in der Sache“.
Richard von Weizsäcker, Geschichte, Politik und Nation. Ansprache des Bundespräsidenten auf dem Weltkongress der Historiker in Stuttgart 1985

Vor einem Jahr habe ich eine einwöchige Kreuzfahrt gemacht, die mir eine Fülle von Bedürfnissen befriedigte: Leichtigkeit, Entspannung, Schönheit, Wärme (im Januar um die Kanaren), Selbstständigkeit, Autonomie, Spiel, Wertschätzung meiner selbst, Harmonie, Berührung und Begeisterung fallen mir dabei spontan ein. Später im Jahr sprach ich mit meinen Eltern, die aus gesundheitlichen Gründen schon lange keinen Urlaub mehr gemacht haben. Ich erzählte, dass auf dem Schiff aus diverse Rollstuhlfahrer unterwegs waren, schwärmte von den tollen Möglichkeiten an Bord und der Ruhe, wenn die Mitreisenden auf Landausflug sind. Und ich fragte sie, ob wir nicht einmal zusammen eine Kreuzfahrt unternehmen wollten, zum Beispiel ab Hamburg nach Norwegen und zurück nach Hamburg. Die Kreuzfahrt erschien mir dabei als eine mögliche Strategie, ihnen einen unkomplizierten Urlaub zu ermöglichen, ich wollte Unterstützung, Gemeinschaft, Nähe, auch ein Stück weit Autonomie für die beiden, Leichtigkeit, Begeisterung, Abwechslung und Schönheit in ihr Leben bringen.
Die Reaktion haute mich komplett aus den Puschen. Es gab eine Kanonade an Urteilen, warum eine Kreuzfahrt unter keinen Umständen der geeignete Urlaub für die beiden wäre. Angefangen von der komplizierten Anreise per Flugzeug (der Hamburger Hafen ist 60 Autominuten von meinen Eltern entfernt), den engen Kabinen, in denen man sich nicht bewegen könne, die Hitze (in Norwegen?) und die Menschenmassen, denen man ständig ausgesetzt sei, und die festgelegten Essenszeiten in Gala-Kleidung.
Zum einen frustrierte es mich, dass hier mit Argumenten hantiert wurde, die nicht stimmten (zum Beispiel die Anreise), und dass Gründe angeführt wurden, die einfach auf mangelnder Sachkenntnis (Kabinengröße, Essenszeiten etc.) beruhten.
Ich habe dann auf Empathiemodus geschaltet und zurückgemeldet, was bei mir angekommen ist. Damit war das Thema für mich erledigt.
Dieser Tage machte mein Vater in ganz anderem Zusammenhang die Bemerkung, „und das ist ja auch der Grund, warum wir keine Kreuzfahrt machen“, und sofort war es wieder da, das bittere Gefühl. Diesmal spürte ich ihm länger nach und stellte dabei fest, dass ein wichtiges Bedürfnis von mir im ganzen Dialog zu diesem Thema komplett unerfüllt geblieben war: Das Bedürfnis, in meinen schönen Absichten gesehen zu werden. Was für wundervolle Bedürfnisse wollte ich ihnen gern erfüllen! Kein Problem, wenn sie die Strategie (Kreuzfahrt) nicht mögen. Aber mir hätte es verdammt gut getan, wenn sie einmal gesagt hätten, oh, wie schön, dass du mit uns in den Urlaub fahren würdest, um es für uns leichter zu machen… Wie nett von Dir, dass du uns ein bisschen Abwechslung ermöglichen möchtest. Anscheinend ist das ein wichtiges Thema: in meinen schönen Absichten gesehen zu werden. Ich kann die Absicht meines Gegenübers wertschätzen und würdigen, ohne die vorgeschlagene Strategie für mich anzunehmen. Damit stärke ich die Verbindung, ohne meine Autonomie oder meine Werte aufzugeben.
Wenn ich heute in einen Dialog trete, will ich mir bewusst machen, welche schönen Absichten sich mein Gegenüber mit seinen Anregungen erfüllen möchte und will sie wertschätzen.

Ich müsste, ich hätte, ich sollte…

The heart is not just a pump. It’s the seed of your two primary desires. “I SHOULD do” and “I LOVE to do.”
One is robotic and yields resentment. The other is free-willing and grows gratitude.
Risk, today, and pursue your healthy passions at whatever cost.

Yehuda Berg, Kabbalah Daily vm 8.2.2011

In diesen Tagen hatte ich viel Gelegenheit, mich mit einer Kollegin auszutauschen. Zum ersten Mal ist es mir aufgefallen, wie häufig wir in unserer Sprache bestimmte Wendungen benutzen, die implizieren, dass etwas mit uns nicht stimmt. „Ich hätte den Tauchsieder einpacken sollen“ oder „ich hätte es wissen müssen“ oder „ich sollte … machen“. „Ich müsste mal meinen Kleiderschrank entrümpeln“. Mit ganz vielen Bedürfnissen dahinter konnte ich mich spontan verbinden. Mein Kleiderschrank könnte zum Beispiel auch eine Entrümpelungsaktion gebrauchen. Gleichzeitig wurde mir deutlich, dass all diese „ich müsste… ich hätte… ich sollte“ ein Anzeichen dafür sind, dass ich mit meinem Tun und Handeln nicht zufrieden bin. Die Energie, die dabei fließt, ist jedoch nicht die Energie des Bedauerns, die die Chance zum Wandel mit sich bringt, sondern die des Richtig oder Falsch. Und der Sprecher ist nicht im Hier und Jetzt.

„Ich habe meinen Urlaub voriges Jahr verdaddelt und häte mir an dieser Stelle zwei Tage weniger nehmen sollen, um später diese Reise machen zu können“ führt in meinen Augen nur dazu, sich selber für eine Entscheidung niederzumachen, die man ursprünglich nach bestem Wissen getroffen hatte. Als die Kollegin sich entschied, sich zu Hause ein paar Erholungstage zu gönnen, ahnte sie nicht, dass es zu einem späteren Zeitpunkt ein Angebot geben würde. dass sie sehr begeistert. Wir können aber nur Entscheidungen für das Heute treffen, das Morgen liegt nicht n unserer Hand.
Heute will ich mich dafür entscheiden, die Dinge zu tun, die ich liebe, und nicht die Dinge zu tun, die ich machen müsste.

Merken ist eine Sache…

Hallo, Welt!
In diesen Tagen verbringe ich viel Zeit mit jemanden, der sehr harsch mit sich umgeht. Ich hätte dies tun sollen. Ich hätte an jenes denken müssen. Zu meinem Glück ist mein Gegenüber mit den Grundzügen der GfK vertraut und konnte es hören, als ich sagte, wie schwer ich diese ständigen Bemerkungen hören kann. Inzwischen bin ich mehr mit meiner eigenen Reaktion unzufrieden als mit dem, was mein Gegenüber sagt. Im Grunde hebe ich alle Nase lang die Hand, und inzwischen können wir beide schon drüber lachen. Empathisch ist das nicht gerade.
Für heute habe ich mir vorgenommen, nicht mehr automatisiert zu reagieren. Meist meldet sich nämlich mein Bauch und sagt autsch, und dann reagiert mein Mund unreflektiert. Heute will ich bewusst versuchen, meinem Gegenüber auf seine Selbstanklagen Empathie zu geben. Auf „ich hätte das nicht tun sollen“ zu raten, welche Gefühle und Bedürfnisse dahinter stecken. Hui, ich merke schon bei diesem Vorsatz, dass das viel schwieriger ist als eben einfach nur den Finger zu heben. Und ich merke auch, dass ich etwas brauche. Wie geht es mir, wenn ich das höre? Ich spüre Schmerz, Ohnmacht und Verzweiflung. Hilflosigkeit. Ich brauche Schutz. Meine Bedürfnisse nach Wertschätzung und Respekt sind im Mangel. Ich kenne solche Selbstbeschädigungen ja über fast 50 Jahre…

Aus dem alten Gedanken, dass ich das alles immer wieder falsch mache, keimt aber auch die Hoffnung, dass ich es beim nächsten Mal richtig machen werde. Also ist es auch ein Bedürfnis nach Selbstvertrauen. Vielleicht steckt dahinter auch noch ein Bedürfnis nach Unterstützung. Immer muss ich allein an alles denken… Kann mir nicht mal jemand helfen, damit mir nicht wichtige Sachen durch die Lappen gehen?
Also, neue Strategie:
Wenn ich meinen Gegenüber sagen höre, ich hätte das nicht tun sollen, frage ich MICH zuerst, wie geht es mir, wenn ich das höre? Was brauche ich jetzt? Und dann frage ich mein Gegenüber: Bist du … weil dir … fehlt?
Eine echte Herausforderung!

So Long!
Ysabelle

Vergebung

„Als Gott mir vergeben hat, dachte ich mir, ich sollte das vielleicht auch tun.“
Johnny Cash, im Interview mit Kurt Loder, MTV, August 2003, drei Wochen vor seinem Tod, mtv.com.

Heute tauschte ich mich mit jemandem aus, der sagte, „ich habe das Bedürfnis nach Vergebung“.
Spontan dachte ich, das sei ein Wortschätzchen. Was fühlt jemand, der von sich sagt, er brauche Vergebung? Ich vermute, derjenige spürt Schmerz, Einsamkeit und Scham. Er ist vielleicht bedrückt oder beklommen, besorgt, mutlos, schwer, sorgenvoll, unter Druck und unbehaglich. Und die unerfüllten Bedürfnisse könnten nach Verbindung, Zugehörigkeit, Vertrauen, Gesehen/gehört werden, Verständnis, Verstehen, Leichtigkeit, Ritual, Harmonie und Spiritualität sein.
Doch dann merkte ich, dass es damit noch etwas anderes auf sich hat.

Vergebung – das glaube ich zu brauchen, wenn ich etwas FALSCH gemacht habe. Wenn ich etwas getan oder unterlassen habe, von dem ich zu der Bewertung komme, dass ich es besser nicht getan hätte.
Das genau ist aber die Crux. Hätte, sollte, wollte, könnte – da bin ich in Nimmerland oder sonstwo, aber nicht im Hier und Jetzt. Dabei ist das Hier und Jetzt die einzige Zeit, die ich beeinflussen kann. Die Vergangenheit ist vorbei, ich kann sie nicht verändern. Welchen Nutzen hat es also, im Nachhinein Dinge als Richtig oder Falsch einzusortieren?
Was genau heißt eigentlich Vergebung?
Wenn Eltern ihrem „unartigen“ Kind vergeben, sind sie anschließend „wieder gut“. Im christlichen Sinn sind wir aufgefordert, unsere Sünden zu bereuen, Buße zu tun und gegebenenfalls Wiedergutmachung zu leisten, um wieder in Gnaden in den Schoß der Kirche oder der Gemeinde zurückkehren zu dürfen. Dann wird mir vergeben. Gleichzeitig heißt es in der christlichen Mythologie, Jesus sei gestorben, auf dass unsere Sünden vergeben seien. Da ist nicht mehr die Rede davon, dass wir dafür noch extra etwas leisten müssen.
Ich brauche Vergebung?
Mein Schicksal liegt dann komplett in den Händen anderer. Sie entscheiden, ob wir wieder „mitspielen“ dürfen oder nicht. Sie entscheiden nicht etwa nur über sich – mit wem SIE spielen wollen – sondern eben auch über uns, wenn wir glauben, ihre Vergebung zu brauchen.

Wenn ich also glaube, Vergebung zu brauchen, bin ich in einer Welt von Schuld und Sühne, von Richtig oder Falsch. Dann bin ich abhängig von dem was du tust oder von mir denkst. Ich räume dem anderen Macht über mich ein. Ich unterwerfe mich seinem Urteil, seiner Vergebung oder seiner Verdammnis.
Heute will ich mich so akzeptieren wie ich bin, Wenn ich mit meinem Verhalten anderen einen Schmerz zugefügt habe, mache ich mir bewusst: ich bin verantwortlich für mein Tun und mein Unterlassen. Was den anderen schmerzt, fällt nicht in meinen Vantwortungsbereich.

Kraut & Rüben (4)

Hallo, Welt!

Der erste Geburtstag des Blogs ist vergangen und ich habe nicht einmal dran gedacht. 433 Postings hat es in dieser Zeit gegeben und 34000 Klicks bei rund 4400 Besuchern. Ich habe weitere 25 Traniningstage auf der Uhr und plane meine GfK-Aktivitäten für 2010. Als nächstes steht eine Trainer-Assistenz zu Thema Wut und Ärger bevor. Das freut mich sehr. Im Juni beginnt dann in Steyerberg die Fortgeschrittenengruppe bei Gerhard Rothhaupt. Für den Sommer vielleicht Robert Gonzales? Ich merke an meinem aktuellen Erschöpfungsgrad, dass es vielleicht auch mal einfach nur Urlaub sein darf.
Dieser Tage war ich wieder bei dem Patienten in meiner Familie. Meist habe ich den Eindruck, es strengt mich sehr an und für mehr als zwei Stunden reicht mein Empathie-Vorrat nicht aus. Auch diesmal waren es nur zwei Stunden, aber obwohl ich durchaus meine eigenen Gedanken und Bedenken zu einzelnen Vorgängen hatte, gelang es mir besser als sonst, sowohl meine eigene Entrüstung wahrzunehmen als auch die Bedürfnisse der anderen zu benennen und zu wertschätzen. Also, für dich ist das so und so und so, und für mich ist das anders und mich macht das verzweifelt und wütend… Ich muss nicht meins aufgeben, um beim anderen zu sein. Eigentlich eine Binsenweisheit, aber schön. wenn es klappt es auch zu leben.
Mir wird immer deutlicher, wie sehr Glaubenssätze und Muster aus der Kindheit uns das Leben schwer machen. Ich sehe und höre es überall um mich rum, und ich fordere den Elternführerschein für alle Leute, die schwanger werden und erweiterte Therapieangebote für alle, die sich in Not fühlen. Unglaublich, dass Therapie noch immer mit „verrückt“ und „nicht zurechnungsfähig“ in Verbindung gebracht wird. Dabei scheint es mir im Moment die beste Möglichkeit, sich selbst kennen zu lernen und sich von den Dingen zu befreien, die uns eher schaden als gut tun.
In diesem Zusammenhang ist es interessant, dass die GfK ausgerechnet von einem klinischen Psychologen entwickelt wurde. Und ich merke im Alltag, wie sehr es mir hilft, Beobachtung und Bewertung voneinander zu trennen. Selbst die Beobachtung ist ja oft genug von Mensch zu Mensch verschieden… Da tut es mir gut zu sagen, danke, dass du mir mitteilst, wie du das wahrgenommen hast. Bei mir war es nämlich anders…

So long!

Ysabelle

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