Ich hätte gern ein Paar Giraffenohren!

Unterwegs mit gewaltfreier Kommunikation – von Ysabelle Wolfe

In der Arena

Hallo, Welt!
Gestern hatte ich ein spannendes Erlebnis. Um halb vier war ich in Hamburg zu einem Meeting verabredet. Im Radio hatte ich gehört, dass die halbe Stadt gesperrt war wegen der Cyclassics, einem großen Radrennen. Mir war das egal, ich fahre ja Zug. Als ich um 14.54 Uhr im Dammtor-Bahnhof in die S-Bahn umstieg, bekam ich eine SMS von der Meetingsleitung: „In der Stadt tont der Bär. Bin mit Motorrad und gebe. Ein bestes“. Ich schrieb zurück: „Dammtor. Werde rechtzeitig da sein“.

So war es auch, 15.25 Uhr traf ich am Meetingsort ein und machte es mir auf den Stufen gemütlich. Weit und breit kein Motorrad. Eine Familie fuhr mit einem VW-Bus vor und wortreich schilderte der Mann der Frau, wie kompliziert die Fahrerei gewesen sei, und was die Polizei alles abgesperrt hätte, und bis zum Garten seien sie gar nicht gekommen…
Ich wartete.
Um 16.13 schrieb ich dann eine SMS: „Du, länger als eine Stunde möchte ich hier nicht warten.“
Keine Antwort.
Um 16.31 schrieb ich dann: „Ich geh jetzt zum Bahnhof und nehm den Zug um XX zurück. Höhere Gewalt, da kann man nichts machen“
Seltsame Eingebung: Ich fasste noch mal an die Außentür – sie war offen. Das kommt schon manchmal vor, denn im gleichen Gebäude sind eine Kneipe und ein Kino. Ich habe dann den Code für die Eingangstür eingegeben und bin wohl versehentlich auf die Klingel gekommen. Im Treppenhaus hörte ich eine Stimme: „Hallo?“ Ich fragte zurück: Wer ist da? Und die Antwort haute mich aus den Socken: Die Meetingsleitung. Sie blickte erstaunt über das Treppengeländer und ich guckte mal mindestens genau so erstaunt zurück.
Und dann überkam mich eine Woge der Wut.
Eine verdammte Stunde hatte ich da draußen gesessen. Wie sollte ich wissen, dass jemand vor mir gekommen war? ZACK! In der nächsten Sekunde wechselten die Schuldigen: Mal war ich es, die zu blöd war, vorher zu überprüfen, ob schon jemand da war. Dann waren es die anderen, die wussten, dass ich komme, sogar pünktlich komme, und nicht einmal nachfragen, hallo, wo bist Du? Wir wollen anfangen …
In aberwitzigem Tempo wechselten die Positionen in meinem Kopf. Die Wut überrollte mich fast. Gerade noch war ich schuld an dieser blöden Situation, dann wieder lag es an den anderen … und der GFK-trainierte Teil konnte dieser Schlacht in der Arena zwischen diesen beiden Wölfen zusehen und es gerade noch fertig kriegen zu sagen, ich geh jetzt. Es ist besser, ich geh jetzt.

Gestern Abend habe ich dann versucht mich zu sortieren und herauszufinden, was eigentlich genau los war. Zum einen fand ich es oberspannend mir selbst zuschauen zu können, wie rasant sich Wolf innen und Wolf außen abwechselten. Hui. So schnell konnte man gar nicht gucken.

Unerfüllte Bedürfnisse: Gesehen werden, Beteiligung, Gemeinschaft, Respekt/Wertschätzung, Sinnhaftigkeit (mit meiner Zeit sinnvoll umgehen).
Das war nicht so schwierig.
Aber da ist noch was anderes.
Ich habe gespürt, dass meine Wut auf die anderen dazu da ist, um meine eigene Scham nicht zu spüren. Scham, etwas falsch gemacht zu haben. Scham, nicht auf die Idee gekommen zu sein, mal zu klingeln, sondern statt dessen wie ein Trottel eine Stunde auf der ungemütlichen Steintreppe im Dreck einer Szenekneipe zu sitzen. Wenn die anderen schuld sind, brauche ich mich nicht zu schämen. Ich teile also lieber aus als zu gucken, was ist mein Anteil an dieser Situation. Oder statt einfach zu lachen und zu sagen, na, da komme ich die letzte halbe Stunde noch dazu …

Wut als Abwehr von Scham. Und die Scham entsteht, wenn ich denke, ich werde bewertet. Das hatten wir doch schon mal. Vorauseilend kann ich mich schon mal ein bisschen schämen, bevor die anderen anfangen, mich zu beschuldigen und zu verurteilen.

An dieser Stelle locke ich die Wölfe mit zwei knackigen Markknochen aus der Arena, suche mir mit ihnen ein schönes Plätzchen zum Kraulen unter einem schattigen Baum und freue mich daran, dass ich in 2015 immer öfter merke, was sich für Dramen in meinem Kopf abspielen. Ich muss die nicht ausagieren. Ich kann einen Kumpel anrufen und mir Einfühlung geben lassen. Danke, Michael, für deine Zeit heute!

So long!

Ysabelle

S’ist Feierabend …

Hallo, Welt!
Diese Woche habe ich ein neues Gefühl entdeckt: Feierabend. Es hielt nur ungefähr zwei Minuten an und war komplett ungewohnt.

Ich kokettiere ja gern damit, dass ich sage, ich wäre arbeitssüchtig. Tatsächlich fällt es mir schwer, so etwas wie Feierabend zuzulassen. Feierabend macht schlechtes Gewissen. In den vergangenen Wochen habe ich super viel gearbeitet (sollte ich sagen, in den vergangenen 30 Jahren?) und an einem Abend war gerade alles Offensichtliche abgearbeitet. Alle Sendungen bei der Post, alle Rechnungen geschrieben, das Lager aufgeräumt, die komplette Wäsche gebügelt. Da gab es einen Moment der Leere, des Innehaltens, und dann war es da, das Feierabend-Gefühl. Und ich wunderte mich und dachte, wo kommst du denn her?
Heute blitzte es für ein paar Sekunden hervor. Grad lang genug, dass ich es wiedererkannt habe. Und mir scheint, als bin ich da einer großen Sache auf der Spur.
Wieso haben manche Leute Feierabend, sitzen dann vorm Fernseher oder stricken aus Vergnügen oder machen einen schönen Spaziergang oder gehen Golf spielen und ich nicht? Wieso ist bei mir immer noch was auf der Agenda? Jetzt in diesem Moment müsste ich eigentlich Katzenfutter kochen, noch mal zwei Maschinen Wäsche anschmeißen, drei neue Produkte im Shop einstellen, den Küchentisch aufräumen, Belege für den Steuerberater raussuchen, den Katzenkotzfleck aus dem Teppich waschen, die Katzenklos machen, ein paar Lebensmittel einkaufen, eine Freundin zurückrufen, die sich heute Morgen gemeldet hat. Insgesamt scheint mir das, was ich zu tun habe, zu viel für eine Person zu sein.
Bei Facebook entdeckte ich heute in einem Posting von David R Browning das Folgende:
A jackalpede-a stampede of judgments
A jackalsaurus-a core judgment/belief

Da scheint in Sachen Feierabend bei mir ein Jackalsaurus durch’s Bild zu laufen. Wie kannst du „Feierabend“ haben wollen, wenn noch so viel zu tun ist? Ich habe überhaupt kein eigenes Konzept dafür, was man am Feierabend macht. Vor 15 Jahren hätte ich mir eine Flasche Wein aufgemacht, eine Zigarette angezündet, zum Telefon gegriffen und mich im Gespräch mit jemand anderem langsam betrunken. Als dann das Internet und die Möglichkeit, per Mail so schnell zu kommunizieren, in meinem Leben Einzug hielten, habe ich lange Mailwechsel gepflegt. 400 Seiten Papier in einem Jahr mit einem Freund … Später dann habe ich ein Forum geleitet, dann noch eins, dann kam der Blog, heute dann der Shop. Immer am drehen. Es ist nie genug, was ich tue. Dann kommt der Tag (oder der Urlaub), an dem ich einfach nur ins Koma falle, tagelang schlafe. Will ich so leben? Was will dieser Jackalsaurus, der mich antreibt, jagt, hetzt, ja quält?

Heute habe ich wieder einmal für einen kleinen Augenblick kapiert, dass ich sehr theoretisch nie wieder einen Tag arbeiten müsste, wenn ich mit all meinen Ressourcen gut haushalte. Es wird zwar eng, aber bis zur Rente halte ich irgendwie durch. Wieso renne ich dann den ganzen Tag so blöde in meinem Schuhkarton hin und her um „irgendwas“ zu erreichen? Was ist denn das „irgendwas“? Wo will ich denn hin?

Ruhe ist anscheinend gefährlich. Dann kommt der Jackalsaurus und … und was? Frisst mich. Ich werde dem mal nachspüren. Was passiert genau, wenn ich den Feierabend-Modus aktivieren möchte? Vorher aber noch Katzenklos, Einkaufen, Katzenfutter kochen, Waschmaschine anschmeißen, drei neue Produkte im Shop einstellen ….

So long!
Ysabelle

Ein Hoch auf Herrn T.

Hallo, Welt!
Mal wieder viel zu spät war ich in diesem Jahr dabei, meine Sommerreifen aufziehen zu lassen. Nach 100 Kilometern sollen die Radmuttern nachgezogen werden, und meine Fahrten waren so unglücklich getaktet, dass ich dann mit den neuen Reigen 300 Kilometer ohne Kontrolle hätte fahren müssen. Dazu war ich zu ängstlich.
Nun aber vor einigen Wochen hatte ich einen Termin in der Reifenwerkstatt. Als wir ihn vereinbarten, fragte der Meister: „Sollen wir auswuchten?“ Ey, fragt mich doch nicht so was? Wann muss das gemacht werden? Warum? ich frag ihn ja auch nicht, ob an die Hollandaise ein Spritzer Zitronensaft kommt!
Ich war zögerlich, fragte zurück, wieso ich das bräuchte. Und so kamen wir dazu ins Gespräch, dasss ich in Erwägung zog, ein neues Auto zu kaufen.
Vor ein paar Wochen hatte ich hier gepostet, dass eine Malerin Dankbarkeitsbilder gemalt hat und unter anderem auch eins für ihren Automechaniker gestaltet hat. Vielleicht könnte sie jetzt auch eines für meinen Werkstattmeister Herrn T. malen. Der Mann hat mit Sicherheit noch nie einen Kurs in Gewaltfreier Kommunikation gemacht, aber er hat mich genau da abgeholt, wo ich gerade stand.
Zunächst hat er gefragt, welches Bedürfnis ich mir mit der Anschaffung eines neuen Autos erfüllen möchte (Sicherheit vor Reparaturen, Schutz, nicht plötzlich liegen zu bleiben, Raum, um mehr transportieren zu können. Mein Wagen hat demnächst 70000 km auf dem Tacho und ich fürchte, jetzt gehen allmählich Dinge kaputt. Und später habe ich vielleicht kein Geld mehr, um ein neues Auto zu kaufen). Dann hat Herr T. mir erläutert, wie es um meinen Wagen steht: „Den fahren Sie noch 50000 km ohne Macken. Der hat bis jetzt noch nichts gehabt, dann hat der auch die nächsten drei Jahre nichts.“ Wow! Wie beruhigend! Und dann kamen die magischen Worte: „Ein neues Auto zu kaufen ist die schlechteste Geldanlage, die Sie nur planen können. Der neue Wagen verliert in zwei Jahren so viel Wert, so viele Reparaturen können Sie an Ihrem heutigen Wagen gar nicht haben. Was soll denn da kaputt gehen, was gleich 3-4000 Euro kostet?“
Dann erzählte er mir noch ein paar Details über die Gepflogenheiten des Herstellers meines Wunschwagens. Die vermeintlich günstigen Konditionen waren dadurch zustande gekommen, dass man mir einen B-to-B-Vertrag angeboten hatte. Business to Business. Und wisst Ihr was? Dabei habe ich keine zwei Jahre Garantie, sondern nur sechs Monate Gewährleistung. Wenn ich jetzt ein Montagsauto erwische, an dem alle Nase lang irgendetwas leckt oder klemmt, kann ich das nach einem halben Jahr alles schön aus eigener Tasche zahlen, denn das ist bei B-to-B-Verträgen üblich. Das läuft ja über die Firma … DAS hatte mir mein smarter Autoverkäufer natürlich nicht erzählt, der hatte nur mit freundlichen Zahlen gewunken.
ich bin aus diesem Gespräch mit Herrn T. mit wunderbaren Gefühlen marschiert. Meine Bedürfnisse nach Klarheit, Unterstützung und Verstehen waren komplett erfüllt. Meine Besorgnis, wie im Comic plötzlich vor einem Auto zu stehen, wo es aus dem Motorraum qualmt und die Reifen nach außen abfallen, hatte sich verflüchtigt, und die entspannte Stimmung hält jetzt schon drei Wochen an. Ich bin so dankbar, dass er sich die Zeit genommen hat, bei mir noch mal nachzufragen, welches Bedürfnis ich mir denn mit einem neuen Auto erfüllen will. Das wäre eine teure Strategie geworden, die mir wahrscheinlich nicht mal mein überbordendes Bedürfnis nach Sicherheit erfüllt hätte …

So long!
Ysabelle

Paranoia

Hallo, Welt!
Ich diagnostiziere bei mir eine seelische Störung:

Paranoia (griechisch παράνοια paránoia, aus παρὰ parà „wider“ und νοῦς noûs „Verstand“; wörtlich also „wider den Verstand“, „verrückt“, „wahnsinnig“) ist im engeren Sinn die Bezeichnung für eine psychische Störung, in deren Mittelpunkt Wahnbildungen stehen.

Gestern traf ich beim Einkaufen eine frühere Kollegin und wir haben uns die Zeit genommen, eine Stunde miteinander zu quatschen. Das war erfüllend und nährte meine Bedürfnisse nach Verbindung, Gemeinschaft, Nähe und Gesehen werden. Die Begegnung habe ich sehr genossen. Dabei kamen wir auch auf meine geschäftlichen Aktivitäten des vergangenen Jahres zu sprechen, meine drei Jobs, meine aktuelle finanzielle Lage. Meine Kollegin, die etwas älter ist als ich, meinte, „wenn dieser Job, den ich gerade mache, Ende des Jahres auslaufen sollte, höre ich auf zu arbeiten“. Ich fragte sie, ob ihre Rücklagen dafür ausreichten, und sie antwortete: „Wenn ich Ysabelle Wolfe wäre, würde mir der Puffer nicht reichen. Aber für mich reicht es. Ich brauche ja nicht viel. Mein Haus ist bezahlt, mein Auto ist bezahlt …“

Und ich dachte bei mir: Mein Haus ist bezahlt, mein Auto ist bezahlt. Nach wie vor habe ich Anspruch auf ein Jahr Arbeitslosengeld. Ich habe einen Webshop gegründet, der bisher in diesem Jahr schon so viele Aufträge abgewickelt hat wie im ganzen vorigen Jahr. Was ist es, das mich ständig so ängstlich macht? Warum sehe ich stets vor meinem geistigen Auge den Gerichtsvollzieher vor der Tür und den Strom abgestellt? Tatsächlich habe ich den Gerichtsvollzieher das letzte Mal im Alter von 21 Jahren gesehen, als ich die Ratenzahlung für meine Möbel nicht bedienen konnte und mich blind und taub gestellt hatte (Scham, Angst, Hilflosigkeit). Seit mittlerweile einigen Jahren gelingt es mir, mein Konto dauerhaft im Plus zu halten, und durch die Abfindung von meiner früheren Firma und den Tod meiner Mutter gibt es kleine finanzielle Rücklagen. Trotzdem wühlt es in mir. Meine Kollegin sagte: „Solange ich dich kenne, hast du Angst zu verelenden. Wenn ich sehe, was du alles machst, habe ich für dich da überhaupt keine Angst …“ Und dann erzählte sie, dass sie gerade eine GmbH liquidiert, in die sie für Jahre massig Geld und Arbeit investiert hat: Wenn du feststellst, dass du ein totes Pferd reitest, steig ab.

Boah! So viel Geld investieren und dann abschreiben! Wie mutig! Ich habe mit 300 Euro für ein Produkt, das sich nicht verkauft, schon massive Bauchschmerzen. Jede unerwartete Rechnung löst bei mir Panikattacken aus. Mein Gehirn (präfrontaler Kortex) meldet, „kein Problem, kannst du bezahlen.“ Aber es wird im wahrsten Sinne des Wortes über-stimmt. Andere Stimmen machen mir Vorwürfe wegen der Ausgabe, ermahnen mich, die Kohle zusammen zu halten, mehr zu arbeiten, mir keine Pause zu gewähren, mir dies und jenes zu versagen. Und dann kommt es zu lustigen Übersprungshandlungen und ich lasse 20 Euro bei Arko oder bezahle für „meine“ Jugendlichen ein üppiges Frühstück mit ihnen unbekannten Käsesorten und frischen Brötchen vom Bäcker statt dieser Aufbackbriketts.

Meine Kollegin wies auch darauf hin, dass ich Menschen beschäftige/einstelle, zu denen ich eine Beziehung habe. „Und damit läufst du natürlich Gefahr, dass du nicht die beste Leistung für dein Geld kriegst.“ Und während ich diese Zeilen tippe, erinnere ich mich an eine Heimkehr von einem Termin 2012. Jemand hatte mein Wohnzimmer neu tapeziert, und ich habe mit grimmiger Verzweiflung die Bahnen wieder abgezogen. Der Untergrund war nicht richtig vorbereitet gewesen und der Handwerker hatte die Kleister-Anleitung für diese Spezialtapete nicht eingehalten. Bezahlt habe ich ihn trotzdem.
Als ich gestern nach diesem Austausch mit meiner Kollegin dem Gespräch ein bisschen nachspürte, hatte ich den Eindruck, als sei diese Finanz-Paranoia gar nicht meine. Ich lebe sie aus. Aber schon seit 1984 kann ich von meiner Hände Arbeit leben. Ich habe eine beachtliche Karriere hingelegt und selbst in Zeiten der Arbeitslosigkeit immer wieder kleine Jobs gefunden oder eigene Aktivitäten gestartet. Welcher Kuckuck hat mir diese Ängste ins Nest gelegt?
Ich erinnere nicht, dass meine Großeltern finanzielle Panik hatten. Sie waren durch die Kriegswirren von Berlin nach Lüneburg verschlagen worden und hatten ihren Hausstand verloren. Als Flüchtlinge waren sie nicht gut gelitten, keiner wollte damals (wie heute) Flüchtlinge aufnehmen. Sie haben gespart und sich ein neues Leben aufgebaut, konnten in den 60er Jahren in die Berge in den Urlaub fahren und sich gutes Essen leisten. Sie hatten einen Fernseher und eine Musiktruhe und eine Hollywood-Schaukel.
Mein Leben mit meiner Mutter verlief anders. Bei uns wurde tatsächlich der Strom abgestellt. Es gab Zeiten, da hatten wir nichts zu essen. Es gab keine Kohle mehr, wir konnten nicht heizen. Ich wurde im Bettchen angezogen, weil es in der winzigen Mansardenwohnung zu kalt war. Waren die Winter in den sechziger Jahren kälter als heute?
Warum gibt es keine Erinnerung, dass wir es geschafft haben? Warum gibt es keine Zufriedenheit, keinen Stolz, dass wir es überlebt haben? Warum ist nur die Angst abgespeichert, wie ein lauerndes Tier? Und warum muss ich mich in 2015 noch damit rumschlagen, was 1965 bedrohlich war?
Ich vermute, da hilft nur Bewusstheit. „spüren, spüren, spüren“. Wann kommt die Angst? Was ist der Auslöser? Die Gefühle sind bis heute Angst, Unsicherheit, Hilflosigkeit, Ohnmacht. Die Bedürfnisse sind Sicherheit (gibt es nicht. Und gibt es doch, in einem Sozialstaat wie Deutschland), Unterstützung, Gesehen werden, Gemeinschaft. Oh ja, das merke ich gerade. Ich bin immer mit dem Glaubenssatz unterwegs, dass ich alles allein schaffen muss und für mich sowieso keiner da ist. Und wenn ich es nicht schaffe, dann ist Ende Gelände. Gemeinschaft also. Ja, das ergibt einen Sinn. Und: To matter (noch immer kein gutes deutsches Wort dafür gefunden. zählen. Ich zähle. Aber nicht bis acht, sondern ich habe Bedeutung, ich bin wichtig. Hach, nimm dich nicht so wichtig!). Vielleicht bin ich wichtig, wenn ich andere Leute unterstütze. Vielleicht zähle ich, wenn ich selbstlos bin (was für ein Blödsinn!). Also: Wieder mal wunderbare Bedürfnisse im Mangel. Was mache ich nun damit? Als erstes ein richtig schönes Frühstück, vielleicht draußen auf der Terrasse, im Sonnenschein. Da höre ich wenigstens nicht, wenn der Gerichtsvollzieher klingelt…

So long!
Ysabelle

Ohren verlegt …

Hallo, Welt!
Am Wochenende war ich in Stuttgart bei der Tagung des Fachverbands Gewaltfreie Kommunikation. Hut ab vor all den Leuten, die diese Veranstaltung auf die Beine gestellt haben, das war sehr beeindruckend.
Zum Start war der CDU-Politiker Heiner Geißler (85) als Gastredner eingeladen worden. Ein gebrochenes Kabel sorgte dafür, dass die Übertragung immer schlechter wurde und souverän marschierte Geißler in die Mitte des Saales und sprach frei.
Vielleicht war ich die einzige, die ihn nur schwer hören konnte. Geißler ist schon seit vielen Jahren als Schlichter aktiv, unter anderem hat er ja die Schlichtung von Stuttgart 21 geleitet und vermittelt zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern. Aber seiner Sprache konnte ich nicht zuhören. Eine Weile habe ich mit mir gehadert, du musst doch und du solltest aber … doch dann habe ich mich darauf besonnen, dass ich in einer GFK-Veranstaltung sitze und nichts tun muss, was nicht Fun ist. Für mich war die Rede kein Fun.
Da konnte sich laut Geißer doch jeder davon überzeugen, dass der Kirchenvater Augustinus das griechische Zitat XYZ in falsches Latein übersetzt hat und dass deshalb Luther … Und schließlich wisse man doch dies und jenes, und er hätte sich auch nicht träumen lassen, dass seine Partei mal mit der Hypo Real Estate eine Bank verstaatlichen würde … Geißler
Kurzum, ich konnte es nicht mehr ertragen und bin rausgegangen.
Später hatte ich Gelegenheit, sowohl mit Andi Schmidbauer als auch Robert Macke dazu ins Gespräch und beide berichteten, dass sie Geißler gut hören konnten. Es sei ihnen leicht gefallen, sich mit dessen schönen Absichten zu verbinden. Da wusste ich, ich habe meine Giraffenohren verlegt.

Dann erreichte mich eine Mail, die wie folgt begann:

> fein einfach machst du es dir da… fakt ist, es ging so, wie du wolltest, und es interessiert mich kein bischen wie DU da hinkommst, sondern wie ICH dahinkomme. daher die frage ob wir zusammenfahren.

Gerade nehme ich mich selbst ganz ratlos wahr. Liegt es an meiner Erschöpfung, dass ich momentan nicht (ständig) empathisch zuhören kann? Wieso löst so ein Text wie die Mail in mir einfach nur Empörung und Aufruhr aus? Vielleicht bin ich wirklich so ausgelaugt, dass da im Moment nicht mehr drin ist. Immerhin mache ich mich selbst nicht dafür fertig und bin auch noch so weit mit mir verbunden, dass ich deutlich merke, was meine unerfüllten Bedürfnisse sind. Bei Heiner Geißler waren es Verbindung, Respekt (für Menschen, die weniger Chancen auf Bildung (Griechisch/Latein) hatten als er), Akzeptanz, Vertrauen und Schutz. Bezüglich des Autors der Mail ist es gesehen werden, Respekt, Wertschätzung, Anerkennung, Unterstützung, Gemeinschaft, Leichtigkeit und „to matter“. Wenn ich so auf diese unerfüllten Bedürfnisse schaue, wird mir klar, dass ich mich in den vergangenen vier Monaten nach dem Tod meiner Mutter komplett vom Giraffensaft abgeschnitten habe, gar keine Zeit fand für eine liebevolle GFK-Gemeinschaft. Mal schauen, wo die nächste Tankstelle ist!

So long!

Ysabelle

Tu es jetzt!

Hallo, Welt!
Heute Morgen standen zwei Polizisten bei mir vor der Tür. Meine Stiefmutter (86) ist tot in ihrer Wohnung aufgefunden worden. Kein Hinweis auf Fremdverschulden.
Gerade erst vor zehn Tagen habe ich die Wohnung meiner Mutter abgegeben. Noch ist nicht alles abgewickelt, da fängt das ganze wieder von vorne an. Bestatter, Trauerfeier, Beisetzung, Wohnung räumen, Papiere sichten. Die letzten Dinge regeln. Ich bin müde und meine Schultern hängen. Aber da ist sonst niemand, der das für sie tun kann.
In den vergangenen Wochen habe ich oft an sie gedacht. Sie hat im Februar ihren Lebensgefährten verloren, aber sie war kein Typ, der mit der Trauer hausieren ging. Sie tat es ab, machte es klein. Und über meine Mutter wunderte sie sich: „Wieso kann die nicht einfach sterben? Wieso kann sie nicht loslassen? Wenn es vorbei ist, ist es doch vorbei… Das ist doch nur eine Belastung für die Menschen in der Umgebung…“

Das konnte ich schwer hören. Meine Mutter war keine Belastung für mich. Nicht in den vergangenen zwei Jahren. Da war unsere Beziehung ein Quell der Freude, der Verbundenheit und Unterstützung. Ich bin so dankbar dafür! Vielleicht war auch das ein Grund, warum ich mich nicht gemeldet habe in den letzten Wochen. Die Kinder haben mit ihr telefoniert, da war alles in Ordnung. Und jetzt ist sie tot. Gestorben in ihrem Wohnzimmer. Aufgefunden Tage später.
In mir ist Bedauern. ich wünschte heute, ich hätte sie angerufen. Ich wünschte heute, ich hätte ihr einmal gesagt, wie sehr ich unsere Verbindung genieße. Ich wünschte heute, wir hätten noch einmal geredet, ohne dass ich von meinem Schmerz geblendet war. Es ist vorbei. Ich habe es aufgeschoben, und nun gibt es keine Gelegenheit mehr.

Ich möchte Euch ermutigen: Wenn Ihr jemanden habt, den ihr schon längst anrufen wolltet: Tut es jetzt! Wenn es unerledigte Briefe gibt: Schreibt sie jetzt. Lasst die Gelegenheit zu Nähe und Versöhnung nicht verstreichen.
Ich akzeptiere, dass ich es so gut gemacht habe wie ich konnte. Die Auflösung der Wohnung meiner Eltern war extrem schmerzhaft für mich. Ich kann anerkennen, dass ich in diesen Monaten an meine Grenzen gegangen bin und keine Kapazitäten für das Leid anderer Menschen hatte. Und wenn ich die Uhr zurückdrehen könnte, wie gern würde ich ihr sagen: Ich hab dich lieb.

So long!
Ysabelle

Mein lieber Steuerberater

Hallo, Welt!
Ein Steuerberater kann das Leben einfacher oder komplizierter machen. Der Mann, der mich etliche Jahre betreut hat, schockte mich irgendwann. Ich sagte zu ihm: „Wenn ich diese Formulare sehe und feststelle, dass ich das alles nicht verstehe, dann macht mir das große Angst.“ Und er antwortete sinngemäß: Wenn dir das schon Angst macht, was sollen denn unsere anderen Mandanten erst sagen…“
Och nö! Empathie geht anders.
Irgendwann übernahm ein junger Mann aus der Steuerkanzlei meine Buchhaltung und seither bin ich wirklich sehr, sehr glücklich. Die Zusammenarbeit mit Herrn W. nährt meine Bedürfnisse nach Unterstützung, Augenhöhe, Klarheit, Sicherheit, Unterstützung, Unterstützung und Unterstützung. Wenn er an meiner Seite ist, kann ich nichts falsch machen. Mein inneres Kind entspannt sich beim Thema Steuern.

Vorige Woche habe ich die Vorsteuer für April abgegeben und bekam zwei Tage später eine Mail mit vier offenen Punkten. Was ist das für eine Überweisung? Was ist das für ein Zahlungseingang?
Ich wünschte, ich hätte mir an dieser Stelle erst mal ne Tüte Empathie gegeben, mich mit mir verbunden. Vielleicht ein bisschen getrauert, weil meine Hilfe und ich uns wirklich so viel Mühe geben, das alles lückenlos zu dokumentieren. Jedenfalls konnte ich die Liste nicht mit dem „Sachauge“ angucken, sondern hatte sofort ein schlechtes Gewissen. Bedauerlich: Ich habe es nicht gefühlt. Anscheinend war ich so im Kopf, dass ich die Alarmklingel nicht gehört habe. Dabei gehört das zu den Sachen, die ich ja täglich unterrichte:

Aus dem Unterricht... im Januar.

Aus dem Unterricht… im Januar.

Der erste Impuls: Anrufen und die Dinge klären. Dazu zuerst der Blick aufs Konto: Was hat es denn mit den angefragten Dingen auf sich? Ah… eine Umbuchung vom Geschäftskonto zum Privatkonto, weil versehentlich eine Rechnung vom Privatkonto beglichen worden war. Ein Auslands-Zahlungseingang. Dazu die Bitte, noch einmal Unterlagen zurückzugeben, die bereits wieder bei mir gelandet waren…

Oh, der blitzschnelle (und von meinem bewussten Selbst unbemerkte) Gedanke, etwas falsch gemacht zu haben, hatte Auswirkungen, die weniger als wundervoll waren. Als ich den Steuerberater erreichte, war ich am Telefon unfreundlich, kurz und wenig verbindlich. Meine Art mich auszudrücken vermittelte vermutlich, „sind Sie zu blöd, die Kontoauszüge richtig zu lesen?“ Ich bin voller Bedauern, auf diese Weise reagiert zu haben. Dabei war in seinen Worten überhaupt kein Angriff und keine Schuldzuweisung enthalten, wie sich bei der späteren Überprüfung herausstellte.

für die Buchhaltung April habe ich noch folgende Bitten bzw. Fragen:

1. Bitte lassen sie mir nochmal das Kassenblatt März, sowie die Kontoauszüge 01.04.-07.04 zukommen. Diese sollten in dem Ordner sein den ich Ihnen am Samstag mitgegeben habe.

2. Zu Welcher Rechnung erhält Herr XY am 23.04. eine Rückzahlung in Höhe von 92,- €

3. Am 28.04. werden über PayPal an ABC 28,48 € bezahlt. Der Beleg der dieser Überweisung beigefügt ist, beläuft sich allerdings auf 6 $.. was hat es mit der Differenz auf sich?

4. Ebenfalls am 28.04. werden 500,- € an $%& mit dem Vermerk Rückzahlung Fehlbuchung abgebucht. Wo und wann erfolgte die Fehlbuchung? (Oder befindet sich diese auf den fehlenden Kontoauszügen?)

Mit freundlichen Grüßen

die ganze Verurteilung fand nur in meinem Kopf statt.
Ich bin erschrocken und traurig. Morgen drehe ich die Kurve in der Kanzlei und bringe eine Kleinigkeit vorbei, um zum Ausdruck zu bringen, dass ich meinen scharfen Ton bedaure. Schon bitter zu spüren, wie die Wolfswelt und die Wolfssprache uns von unserem einfühlsamen Selbst trennen. Es braucht wirklich immer noch Übung und Wollen, mich aus diesem System von Richtig oder Falsch zu lösen.

So long!

Ysabelle

Dankbarkeit als spirtuelle Übung

Hallo, Welt!

Schon ein paar Jahre beschäftigt mich immer wieder das Thema Dankbarkeit. Dankbar für das was ist. Nicht auf den Mangel schauen, sondern auf die Fülle. Jedes Jahr im Dezember versuche ich hier täglich ein Posting zu hinterlassen, in dem ich benenne, wofür ich am heutigen Tag dankbar bin. Ich merke, dass mein Leben eine andere Färbung bekommt, wenn ich auf das schaue, was gut und schön in meinem Leben ist.

Jetzt stolperte ich über einen kleinen Film, der mich sehr berührt hat.
https://vimeo.com/121724954
Die Künstlerin Lori Portka hat es sich zum Ziel gesetzt, 100 Bilder für Menschen zu malen, denen sie dankbar ist. Zunächst hatte sie sich gefragt, ob sie überhaupt 100 Menschen kennt. Doch dann entstanden Dankbarkeitsbilder für ihre Friseurin, deren Fürsorge und Berührung sie genießt, für ihren Automechaniker, dessen Aufrichtigkeit und Umsicht sie genießt, für Kolleginnen, die sie unterstützen… eine wunderbare Sammlung kleiner Kunstwerke, ein Kaleidoskop der Dankbarkeit.
Wofür bin ich heute dankbar?
Dass die Sonne scheint, dass ich satt zu essen habe, dass eine Maschine meine Wäsche wäscht und eine andere meinen Abwasch erledigt. Das Leben ist schön.

So long!
Ysabelle

Wir sind was wir denken

Hallo, Welt!
Nachdem ich annähernd 30 Jahre als Bahnfahrende unterwegs war, fahre ich nun seit einem Dreivierteljahr mit dem Auto über Landstraßen zur Arbeit. Je nach dem, wie ich gerade drauf bin, reagiere ich auf andere Verkehrsteilnehmer. Wer von hinten kommt und mich überholt, ist meist ein Spinner. „Ich fahr doch schon (fast) 100, was willst du denn noch?“ Alle Treckerfahrer sollten sowieso eine eigene Spur haben. Morgens, wenn ich selbst pünktlich bei der Arbeit sein will, stören mich Trecker mehr als nachmittags, wenn ich nach Hause dümpel.
Vorige Woche nun war ich bestrebt, besonders früh bei der Arbeit zu sein, denn meine Kollegin hatte Urlaub und ich wollte noch etwas vorbereiten. Vor mir fuhr ein Wagen, dessen Fahrer/Fahrerin sich exakt an die vorgeschriebenen Geschwindigkeitsregeln hielt. Strich 50 in der Ortschaft, 70 auf dem Teilstück bis zur Umgehung, wieder runter auf 50… Ich hing dahinter und hörte mich vehement fluchen. Gehts noch ein bisschen langsamer? Soll ich rauskommen und schieben? Alter, darfst du überhaupt noch/schon fahren?
Das war eine spannende Erfahrung. Ich würde mich selbst als sehr verkehrsregeltreu bezeichnen. In meinen 35 Jahren Führerscheinbesitz bin ich ein einziges Mal geblitzt worden – beim Abbiegen in eine 30-er-Straße in Hamburg, wo ich wegen des nachfolgenden Verkehrs zusehen musste die Kreuzung zu räumen. 15 Euro. Ich glaube, meine erste rote Ampel habe ich 2010 überfahren… Und nun hielt sich jemand an die Regeln und ich brodelte hinter dem Steuer wie ein HB-Männchen/Frauchen.
Als erstes ging mir auf, dass vermutlich tausendfach andere Fahrer hinter mir so gebrodelt haben. Geht’s nicht ein bisschen schneller? Es ist doch alles frei… Das entlockte mir schon mal ein kleines Grinsen. Guck an, jetzt geht es dir mal so wie es den anderen vielleicht hinter dir ergeht…
Im nächsten Schritt konnte ich direkt körperlich wahrnehmen, wie sich abhängig von meinen Gedanken meine Laune/meine Körperspannung veränderte. Dachte ich, der Vorausfahrende wäre ein Idiot und würde etwas falsch machen, erhöhte sich mein Blutdruck, die Kiefermuskeln und der Nacken waren angespannt, die Hände pressten sich ans Lenkrad. Als ich mir bewusst machte, dass das lediglich meine Gedanken waren, die mich so aggressiv werden ließen, spürte ich die Ent-Spannung in allen Knochen. Ich konnte auf einmal wählen. Wut oder Gelassenheit. Das war ein faszinierendes Erlebnis.

Ich habe schon häufiger festgestellt, dass meine Gedanken meine Stimmung beeinflussen. Am drastischsten – ACHTUNG, KÖNNTE UNERWÜNSCHTE ASSOZIATIONEN AUSLÖSEN – erlebe ich das in Bezug auf Erbrochenes. Meinem eigenen Kind konnte ich nicht helfen, wenn ihm schlecht war. Und im Auto war ihm ständig schlecht. Prompt setzte bei mir der Brechreiz ein. Das setzte sich in den vergangenen Jahren fort, wenn die Katzen sich irgendwo übergeben hatten. Auch beim 100. Mal (ich habe schon seit 27 Jahren Katzen) wurde es nicht besser. Und irgendwann habe ich gemerkt, wenn ich das beseitige, denkt es etwas in mir, und das Denken löst meinen Brechreiz aus.
Ich hatte einmal ein Gespräch mit meiner Mutter, die ja ein Tracheostoma hatte, also eine Kanüle im Hals. Sie schleimte ständig und tat das auch geräuschvoll neben mir im Auto auf der Heimfahrt vom Krankenhaus. Ich merkte schon, wie mir übel wurde und ich bat sie, einen etwas dezenteren Weg zu finden. Einen Augenblick war Stille, dann sagte sie: „Tut mir Leid, ich habe es ein bisschen übertrieben. Ich wollte einfach, dass es sichtbar/hörbar wird, was das für eine schreckliche Krankheit ist und wie beschissen es mir geht…“

Ich glaube, das war der Wendepunkt. Ich konnte mich vollkommen mit ihr verbinden. Ich konnte bei ihr sein in ihrem rotzenden Elend. Und das ist mir bis zu ihrem Ende immer häufiger gelungen. Ich konnte auf einmal meinen Brechreiz im Kopf abschalten, indem ich bewusst an etwas anderes dachte. Oder mit dem Brechreiz „redete“. Ganz ruhig. Stell dir vor, es wäre etwas anderes… es ist nur das, was du denkst, was diesen Würgereiz auslöst… denk einfach an was anderes oder an nichts…

Für mich ist das ein großes Geschenk: Zu erkennen, dass meine Gedanken meine Existenz beeinflussen, und dass ich daher meine Gedanken verändern kann, um Frieden zu haben. Wie bei dem Autobeispiel muss ich vielleicht erst fühlen und wolfen, um dafür den Schalter zu finden. Ich muss zu Bewusst-Sein kommen. Solange ich hinter dem Lenkrad dumpf vor mich hin wüte, verankere ich mich in der Welt von Richtig oder Falsch. Beim Erkennen meiner Gefühle und Bedürfnisse zeigt sich auf einmal die Tür aus diesem Knast…

So long!

Ysabelle

Lob, Anerkennung und die Haltung

Hallo, Welt!
Puh, hier muss ich erst mal den Staub vom Dashboard blasen. Monate habe ich nichts geschrieben. Themen hätte es genug gegeben. Aber Zeit und Kraft sind endlich. Jetzt ist der Hausstand meiner Mutter aufgelöst, die Wohnung geräumt. Ab Montag wird sie neue Mieter haben. Und bei mir stehen noch immer Umzugskartons, Lampen, Bücherkisten… Keine Ahnung, wo ich sie lassen soll.

Ein GFK-Freund schrieb mir gestern, und ich habe heute geantwortet. Das Thema finde ich so spannend, dass ich es gern hier teilen möchte. In seiner Nachricht heißt es:

ich denke gerade über „Dankbarkeit und Lob“ nach.
Wenn ich eine Frau sehe, die ein sehr schönes Kleid an hat und ich geneigt bin, dies wertschätzend anzusprechen, dann tue ich das doch nicht aus Dankbarkeit heraus, oder doch? … Liebe Grüße aus XY, M.

Ich musste schmunzeln, denn er hatte mir neulich etwas Nettes sagen wollen und war dabei im Urteilsmodus gelandet. Wir haben darüber gesprochen, offenbar war davon was hängen geblieben. Und ich habe ihm geantwortet:

Moin, Kollege,

Lob ist nicht auf Augenhöhe, und Lob spricht nicht von Dir. Lob beurteilt, was der andere getan hat. Lob trägt nicht unbedingt zur Verbindung bei.

Um bei Deinem Kleiderbeispiel zu bleiben:

Du siehst jemand, der sich in einer Weise kleidet die Dir gefällt, die Dich anspricht, die Deinem Geschmack entspricht. Es erfüllt also Deine Bedürfnisse nach Schönheit, Ästhetik, Eleganz. Das jetzt zu kommunizieren erfüllt vielleicht Deine Bedürfnisse nach Feiern, Beitragen zum Wohlergehen des anderen, Anerkennung oder Wertschätzung. Vermutlich wird dann auch Deine Wortwahl anders ausfallen als bei Lob. Statt so was zu sagen wie „du hast so einen guten Geschmack bei deiner Kleiderwahl“ sagst du jetzt vielleicht, wow, ich finde, das Kleid steht dir toll, die Farben passen zu deinem Typ und der Schnitt betont deine Taille. Ich bin ganz hin und weg…

Noch Ideen dazu?

Mir geht es nicht nur um Lob oder Anerkennung, mir geht es um die Haltung. Ich merke, wie mir Augenhöhe immer wichtiger wird. Zwei Menschen aus meiner Übungsgruppe quälen sich aktuell mit der Frage, „muss ich denn immer GFK machen?“ Nein. „Müssen“ schon mal gar nicht. Das Beispiel, mit dem wir am Donnerstagabend gearbeitet haben, zeigte sehr eindrücklich, worum es wirklich geht. Es geht um Verbindung. In erster Linie zu mir. Wie geht es mir, zum Beispiel wenn ich mich über die Aussage einer anderen Person ärgere und auf einmal sehr kühl reagiere? Merke ich dann noch, wie es mir geht, oder bin ich im klassischen Urteilsmodus Gut ./. schlecht oder richtig ./. falsch? Für die Teilnehmerin, deren Beispiel wir auseinander genommen haben, war es ein Aha-Erlebnis zu erkennen, dass sie auf bestimmte Weise reagiert hat, um sich zu schützen und ihren Raum zu verteidigen. Das war ihr vorher gar nicht bewusst gewesen. Als sie ging, war sie mit sich verbunden. In der Situation, die wir beleuchtet haben, war das nicht der Fall. Ich vermute, dass alle diese moralischen Urteile uns letzten Endes von uns selbst entfernen. Wie seht Ihr das?

So long!

Ysabelle

Mimikresonanz – neue DVD von Al Weckert erschienen

In der Gewaltfreien Kommunikation dreht sich ja vieles um Gefühle. Als Zugang zu universellen Bedürfnissen helfen sie uns, herauszufinden was wir brauchen und auf gemeinsame Nenner zu kommen. Sehr beliebt sind deswegen zum Beispiel Listen mit Gefühlsworten die dazu dienen, ein Basisvokabular zu trainieren. Man kann von diesen Hilfsmitteln halten was man will, ohne ein gewisses Training im Umgang mit Gefühlen wird man sich insbesondere in der Arbeit als Trainer, Coach oder Mediator schwer tun, hat man es doch tagtäglich mit Menschen zu tun. Menschen die häufig nicht verbalisieren können, wie es ihnen grade geht oder die vielleicht sogar verstecken, was grade in ihnen vorgeht.

 

Und hier kommt die Mimikresonanz ins Spiel. Sie nähert sich Gefühlen über Gesichtsausdrücke und Körperhaltung und macht es möglich, das Erkennen, zuordnen und spiegeln von Emotionen gezielt zu trainieren.

Al Weckert hat auf dem Mediationskongreß 2014 einen sehr umfangreichen Vortrag zu diesem Thema gehalten, der jetzt auch als Mitschnitt im Auditorium Verlag auf DVD erhältlich ist.
Wer noch nie versucht hat, Gefühle aus den Gesichtern anderer Menschen zu lesen wird wahrscheinlich überrascht sein, wie kompliziert sich das gestalten kann.
„Was hat wohl dieses Stirnrunzeln zu bedeuten? Hab ich was falsches gesagt? Jetzt guckt er auch noch so verkniffen…ob er sich ärgert?“
Als GFK-Trainer habe ich Gefühlsausdrücke bisher eher intuitiv gehandhabt, mich auf mein Bauchgefühl verlassen und ab und an nochmal nachgefragt, wenn mir etwas komisch vorkam. Durch diese Rückmeldungen habe ich zwar im Laufe der Zeit ein ganz gutes Gespür dafür entwickelt, wie die Menschen in einer Gruppe grade drauf sind. Anderen dieses Bauchgefühl zu vermitteln oder ihnen gar ein Trainingswerkzeug an die Hand zu geben fiel mir da schon wesentlich schwerer. Und hier freue ich mich über den Kern von Al Weckerts Vortrag:
Das Erkennen von Gefühlen, und wenn sie auch noch so kurz bei jemandem aufblitzen, lässt sich trainieren. Über ein von Paul Ekman entwickeltes System, genannt Facial Action Coding System,kurz FACS werden Basis- und Mixemotionen auf verschiedene Ausdrücke zurückgeführt, die sich auch willentlich nicht unterbinden lassen. Alles was es braucht ist ein kontinuierliches Training wie Weckert es in seinen Seminaren vermittelt um immer treffsicherer im Erkennen von Emotionen zu werden. Wie das funktioniert, davon gibt sein Vortrag bereits einen guten Eindruck.

In 70 Minuten erfährt man eine Menge über die Theorie hinter der Mimikresonanz und darf schonmal selbst den Test machen, wie man bestimmte Gesichtsausdrücke interpretrieren würde.

Insgesamt merkt man seinem aufwändig gestalteten Vortrag deutlich an, wie sehr ihn dieses Thema begeistert und bekommt einen guten Eindruck davon, wie die Mimikresonanz das Leben mit der Gewaltfreien Kommunikation bereichern kann.

Ein zukünftiger Boxer?

Jetzt würde mich nur noch interessieren, ab welchem Alter man von den Emotionen sicher auf die Gefühle schließen kann – wenn das bei meinem Sohn Milan auch schon funktioniert brauch ich dringend so ein Training, da ist nämlich mit nachfragen noch nicht viel 😉

Markus

Fleischlos glücklich?

Hallo, Welt!
Ein GFK-Freund hat mir zu Ostern einen Film geschenkt: Forks over knifes. Anscheinend ist das ein Kultfilm der veganen Bewegung, und da ich noch nie Interesse hatte, Veganerin zu werden (nicht mal zur Vega auszuwandern, trotz meiner Schwäche für Perry Rhodan), ist diese Dokumentation total an mir vorbeigegangen. Nun also Forks over knifes. Ein erschütternder Film. Zwei sehr renommierte US-Ärzte weisen nach, dass unsere gewohnte Ernährung der letzten 100 Jahre dazu beiträgt, dass Krankheiten wie Herzinfarkt, Schlaganfall, Diabetes, Metabolisches Syndrom, Bluthochdruck und andere Schweinereien durch die Umstellung unserer Ernährung auf fleischreich, voller Milchprodukte und tierischen Fetten erfolgt ist. Besonders beeindruckt hat mich ein Chart: Norwegen hatte bei Beginn des Zweiten Weltkriegs die gleiche Rate von Herzerkrankungen wie andere europäische Länder. Dann marschierten die Deutschen ein und beschlagnahmten erst mal alle landwirtschaftlichen Nutztiere für ihre eigenen Zwecke, die Truppen und die „Heimatfront“. Die Einheimischen mussten zwangsläufig auf pflanzliche Kost umschwenken. Sofort sank die Zahl der Koronarerkrankungen in ganz Norwegen signifikant. Nach Kriegsende dauerte es nicht allzu lange, bis die Norweger wieder genau so viele Herzerkrankungen hatten wie der Rest der Europäer…
Es gibt übrigens eine komplette Studie über die Korrelation von Krebserkrankungen und Ernährung in China. Und in Japan war bis vor wenigen Jahrzehnten Prostatakrebs nahezu unbekannt, unter 20 Fälle auf die Hälfte der Einwohner der USA. Die USA hatte dagegen 14000 Fälle von Prostatakrebs. Die Studie führt auch diese Zahlen auf die Ernährung zurück.

ich war ja kürzlich beim Hausarzt zum Durchchecken. Zu hohe Blutfettwerte. Erhöhtes Herzinfarkt- und Schlaganfall-Risiko. „Essen Sie weniger Fleisch und weniger Schokolade. Vermeiden Sie Fertigprodukte, vor allem vorpaniertes Fleisch (würde ich nie kaufen!) und Pizzen. Da ist billiges Fett drin…“
Und dann fällt mir dieser Film in die Hände. Und seit heute das dazu gehörige Kochbuch…
Was hat das mit Gewaltfreier Kommunikation zu tun?
Ich versuche mit mir gewaltfrei über die Reduzierung von Fleisch zu diskutieren. „Aber mit Fleisch zu kochen ist so viel einfacher. Und es schmeckt. Willst du auf all deine Lieblingsgerichte verzichten? Keine Lauchcremesuppe mehr, weil da Hack und Schmelzkäse drin sind? Keine Lauchnudeln mehr? Keine Thunfischnudeln?“
Oh… wenn diese Argumente auf den Tisch kommen, sackt mir das Herz in die Hose. Bis jetzt habe ich noch nicht so viele vegetarische Gerichte gegessen, die mir WIRKLICH geschmeckt haben und die ich mit ebenso viel Freude gegessen habe wie das eine oder andere meiner Fleischgerichte, zum Beispiel selbstgemachte Königsberger Klopse mmmmjammm….
Ich rede also freundlich mit mir und versuche mich dahin zu bewegen, erst mal den Fleischkonsum zu reduzieren. Das wird eine ganz andere Vorratshaltung brauchen. Nicht mal eben ne Dose Ravioli aufmachen… Gegen zwei Fleischgerichte pro Woche will ich nichts sagen. Mal sehen, wie ich da hin komme… Auch auf Wurst oder Aufschnitt möchte ich öfter verzichten. Und dann? Ich hatte gerade zwei Bio-Aufstriche, die haben mich nicht überzeugt. Mal sehen, wie viel Energie ich dafür aufbringen kann, mehr für meine Gesundheit zu tun. Einen Schritt unternehme ich JETZT. Ich gehe ins Bett.
So long!

Ysabelle

Ich höre nicht, was du grad sagst…

Hallo, Welt!
Meine Anwesenheit hier im Blog erfüllt nicht meine eigenen Anforderungen an mich. Gleichzeitig akzeptiere ich, dass ich es so gut mache wie ich kann. Nach wie vor bin ich dabei, den Hausstand meiner Mutter aufzulösen. Vor 14 Tagen bin ich mal eben ein Wochenende kurzfristig als Co-Trainerin eingesprungen, als Gerhard Rothhaupt einen Einführungskurs im Osterberg-Institut gehalten hat und sich das wegen einer schweren fiebrigen Erkältung allein nicht zutraute. Eine Ehre und eine Herausforderung. Ich war fünf Jahre seine Schülerin und jetzt seine Kollegin… Spannend.
Und am vorigen Wochenende hatte ich eine Mediation in Hessen und den Verkaufsstand auf dem Frühjahrstreffen in Steyerberg. Es geht doch nichts über eine multiple Persönlichkeit. Karfreitag dann ein erneutes Familientreffen in der Wohnung meiner Mutter. Und heute ein Kaffeetrinken im Familienkreis. Schnauf.
Als wir den Abtransport von Möbeln diskutierten, sagte ich, ich sei müde, erschöpft, mutlos und frustriert. Daraufhin entgegnete mir eine Person: „Ich bin nicht an deinen Gefühlen interessiert, ich will Lösungen.“
Ich brauchte kurz einen Kessel Selbstempathie, dann sagte ich, „Ich kann nicht zu Lösungen übergehen, solange ich nicht gehört worden bin. Was hast Du gehört, was ich gesagt habe?“ Die Antwort war: „Keine Ahnung.“
Daraufhin versuchte es jemand anderes aus dieser Runde und bot mir an: „Du bist genervt von uns“.

Danke, nice try.
Ich bin inzwischen im neunten Jahr mit Gewaltfreier Kommunikation unterwegs. Und meine eigene Familie ist nicht in der Lage, vier Gefühle wiederzugeben. Ich bin…

Hat vielleicht mal jemand von Euch von einem GFK-Kloster gehört, wo alte Frauen Zuflucht finden können? Einfach nur da wohnen, ein bisschen Küchendienst, beten und Unterricht (das mache ich ja so auch) und ansonsten in einer wohlwollenden, empathischen Gemeinschaft zu Hause sein. Ist das denn wirklich zu viel verlangt?

So long!

Ysabelle

Systemisches Konsensieren – Wie funktioniert das eigentlich?

Systemisches Konsensieren ist ein innovativer Moderationsansatz der die Nachteile der herkömmlichen Arten, in Gruppen eine Entscheidung zu treffen geschickt vermeidet und sich vor allem in Konfliktsituationen als besonders hilfreich erweist.

Wenn Menschen zusammenkommen um etwas zu bewegen oder um gemeinsam an einem Projekt zu arbeiten gibt es pausenlos etwas zu entscheiden.

Von der weiteren Vorgehensweise („Machen wir heute länger um alles zu schaffen?“) über einzelne Tagesordnungspunkte („Für welchen Anbieter entscheiden wir uns?“) bis hin zur gemeinsamen Struktur („Wie gehen wir damit um, wenn sich einzelne nicht an Vereinbarungen halten?“).
Solange alle sich einig sind gibt es wenig Probleme, dann können Entscheidungen schnell und häufig sogar im Konsens getroffen werden. Wenn die Themen brisanter werden, die Anzahl der Optionen oder der Teilnehmer steigt oder Konflikte auftreten wird es häufig schwerer eine gemeinsame Lösung zu finden.

Verschiedene Lösungsansätze lassen sich dann häufig beobachten:

  1. Die Gruppe diskutiert solange über die einzelnen Möglichkeiten bis einzelne frustriert aufgeben und die Lösung letztlich von den zähesten Rednern gewählt wird. Für die Gruppe ist dieser Prozess oft sehr frustrierend und trägt zum schlechten Image der Gruppenentscheidungen bei, die Bereitschaft, sich in Zukunft auf eine Diskussion einzulassen sinkt.
    Konsens durch Ermüdung.
  2. Jemand aus der Gruppe übernimmt die Führung und schlägt einen Weg ein – und häufig auch mit der Faust auf den Tisch. Auch wenn diese Lösung bedeutet, dass letztlich eine Einzelperson die ganze Gruppe dominiert sind häufig viele froh darüber, dass jemand sie aus den endlosen Diskussionen rettet.
    Der Chef entscheidet.
  3. Die Gruppe entscheidet sich für eine formale Abstimmung zwischen den Optionen. Dabei gilt häufig die einfache Mehrheitswahl weil nichts anderes gemeinsam vereinbart wurde.

Die ersten beiden Varianten entsprechen eher einem informellen Entscheidungsprozess oder sind Ausdruck bestehender Machthierarchien. Variante 3 ist zwar von der Gruppe formal legitimiert, birgt aber auch einige Tücken, die sich mit dem Systemischen Konsensieren leicht vermeiden ließen. Je nachdem wieviele Optionen zur Verfügung stehen und wie gewichtig die Frage ist kann die Gruppe zwischen Schnellkonsensieren, Auswahlkonsensieren und vertieftem Konsensieren wählen um ein Problem zu lösen.

Ein Beispiel zum Auswahlkonsensieren

IMG_1546Am gemeinsamen Arbeitsplatz der Gruppe soll ein Bild aufgehängt werden das von einem regionalen Kunstsammler zur Verfügung gestellt wird. Die Gruppe ist sich einig, dass sie auf jeden Fall eines aufhängen wollen um die Athmosphäre im Raum zu verbessern. Wenn sie sich nicht einigen können entscheidet der Kunstsammler, welches er aufhängen wird. Zur Auswahl stehen 8 verschiedene Bilder.
IMG_1568Bei der sogenannten demokratischen Abstimmung hat jede Person eine Stimme für ihre bevorzugte Option. Die Option, die am meisten Stimmen bekommt, gilt als gewählt. In unserer Beispielgruppe sah die Abstimmung so aus, dass von den 8 Mitgliedern fast jeder ein bestimmtes, individuelles Bild bevorzugen würde, zwei Personen hatten dasselbe Lieblingsbild. Formal würde also Bild G mit 2 Stimmen als gewählt gelten.
Hier zeigt sich, dass das Mehrheitsprinzip wie wir es kennen nicht in der Lage ist, mit vielen Optionen umzugehen – um eine überzeugende Mehrheit zu vereinen muss die Anzahl der Optionen auf 2-3 reduziert werden. Es versagt also bereits bei banalen Fragestellungen.
Häufig erfolgt deswegen eine Stichwahl zwischen den beiden führenden Kandidaten oder es wird direkt eine Ja/Nein Frage gestellt: „Soll DIESES Bild aufgehängt werden? Wer ist dafür, wer dagegen?“)
Auf diese Weise werden zusätzlich künstliche Fronten geschaffen, ich fange an, um Zustimmung für mein Lieblingsbild zu kämpfen, Allianzen zu suchen und gegen andere vorzugehen.

IMG_1569Ganz anders bei der Bewertung mit Widerstandsstimmen. Hier ist die Idee, dass jede/r für jede Option 10 Widerstandsstimmen (W-Stimmen) vergeben kann, und zwar abhängig davon, wie groß die eigenen Bedenken wären, würde diese Option umgesetzt.
Hier zeigt sich am selben Beispiel eine ganz andere Verteilung.
Offentsichlich könnten die meisten Mitglieder der Gruppe mit Bild A ganz gut leben. Ein Kampf um Zustimmung erübrigt sich, jeder möchte lieber die Widerstände der anderen reduzieren und wird schnell lernen, dass das nur durch Entgegenkommen möglich ist. Auf diese Weise sind vielfältige Optionen möglich, die die Wirklichkeit wesentlich besser abbilden als Schwarz-/Weiße Ja/Nein Fragen. Konflikte werden nicht künstlich erzeugt und verstärkt sondern durch die Systemeigenen Regeln abgebaut.

Wie es wirkt

Schluss mit…

  • endlosen Diskussionen
  • unzufriedenen Gruppenmitgliedern
  • halbgaren Kompromissen

Das „Systemische Konsensieren“ führt unabhängig von moralischen Appellen oder Regeln nahezu automatisch zu einer Verhaltensänderung in der ganzen Gruppe:

Statt einem Kampf gegeneinander führt es zu mehr Miteinander bei der Lösungssuche.
Der Name weist auf das Ziel hin, eine Lösung zu finden, die einem Konsens möglichst nahe kommt, aber ohne den Druck, ihn erreichen zu müssen. Damit sind Entscheidungen tragfähiger, es gibt keine Sieger und Verlierer mehr!

 

Mehr Infos auf systemisches-konsensieren-berlin.de/

Zahlenmystik

Hallo, Welt!
Gern pflege ich ja das Image, dass ich nicht rechnen kann. Welches Bedürfnis erfülle ich mir eigentlich damit? Vielleicht nach Schutz, damit andere mich nicht fragen, und ich womöglich die Antwort nicht kenne. Vielleicht habe ich auch ein Bedürfnis nach Unterstützung. Bitte hilf mir beim Rechnen… Oder geht es um Ruhe? Damit will ich nichts zu tun haben…? Oder um Verständnis: Schließlich habe ich gesagt, dass ich es nicht kann, dann versteht doch sicher jeder, dass in meiner Rechnung Fehler sind, oder? Leichtigkeit: Ey, rechnen strengt mich so an, könnt Ihr das nicht machen?
Jedenfalls habe ich es mir in dieser Nische ganz gemütlich eingerichtet, einen kuscheligen Sessel und eine Stehlampe reingestellt und kann mich prima dorthin zurückziehen.
Heute nun war wieder mal einer der Termine beim Steuerberater. Mich betreut ein reizender junger Mann, der meine Bedürfnisse nach Respekt, Unterstützung, Verstehen und Vertrauen voll erfüllt. Wenn es nicht gerade ein Besuch beim Steuerberater wäre, würde ich sagen, der Kontakt beglückt mich, natürlich in rein professioneller Hinsicht.
Heute nun gab es drei Situationen, in denen ich wunderbar gerechnet habe. Mein Berater hat sich verrechnet, ich ich hatte das richtige Ergebnis. Da flogen auf einmal Zahlen durch die Luft, von denen ich wusste, dass sie falsch waren. Und bei allen drei Gelegenheiten, bei denen ich nun heute gerechnet hatte, war das Ergebnis richtig.
Ich saß also beim Steuerberater und freute mich, dass ich richtig gerechnet hatte. Und ich fing laut an, mir selbst Wertschätzung zu geben: So schlecht, wie ich immer sage, kann ich anscheinend im Rechnen gar nicht sein. Anscheinend kann ich viel besser rechnen, als ich mir das selber zutraue. Ich möchte noch mal erwähnen, wie zufrieden und froh ich darüber bin, wie gut ich insgesamt mit diesem Buchhaltungskram klarkomme, obwohl ich doch immer wieder denke, ich könne gar nicht rechnen…

Na, das war schon verteilt auf 90 Minuten. aber trotzdem dürfte es auffällig gewesen sein. Ich glaube, dass es für mich gewirkt hat, vor allem das laute Aussprechen und Anerkennen, dass der alte Glaubenssatz nicht zutrifft. Ich fühle mich mutiger und kompetenter (jetzt bitte keine Diskussion darüber, wie man sich fühlt, wenn man sich kompetenter fühlt. Kraftvoll. Punkt.) Und was passiert? Ich entdecke heute Abend eine Rechnung, die komplett falsch ist. Hm, vielleicht nicht komplett (was ist die Beobachtung?). Aber bei einzelnen Positionen hat der Kunde einen falschen Preis bekommen. Hui! Statt jetzt wieder in die alte Schleife einzubiegen „ich kann halt nicht rechnen“ möchte ich feiern, dass ich diesen Fehler entdeckt habe. Der Kunde hat ihn nämlich nicht gefunden und eine überhöhte Rechnung bezahlt. Da bin ich doch heute echt spitze!

So long!
Ysabelle

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